SV Carmina

Reiseberichte

Reisebericht 9

Holland – Südfrankreich

Tagebuch Woche 1

Montag, 06.10.2014

Ein letztes Mal verlassen wir den Jachthafen De Kranerweerd/Zwartsluis in diesem Jahr. Gestern Abend haben wir noch mit einigen Bekannten und Freunden eine Abschieds-Party im 't Kraantje gefeiert und wurden mit vielen guten Wünschen und Geschenken auf unsere lange Reise geschickt. Das warme und kalte Buffet, das Peter zubereitet hatte, war so lecker, dass Thomas erst um 3 Uhr in der Früh schlafen konnte, so hat er sich den Bauch vollgeschlagen!

Good by Anco 1 Good by Anco 2
Peter und Alice DSCN0236

 

Heute Morgen mussten wir noch eine Entlüftung für das Abwaschbecken montieren lassen. Seit dem Einbau des Abwassertanks funktionierte der Abfluss nicht mehr optimal. Aber jetzt ist alles i.O. und wir sind um 11 Uhr startklar, endlich.Wenige 100 m nach der Schleuse von Zwolle werden wir von einem Polizeiboot gestoppt. Die Weiterfahrt in Richtung Zutphen sei z.Z. nicht möglich, da zwei Fliegerbomben gesprengt werden müssten. Wir sollten an Ort warten, eventuell gehe es bald weiter, andernfalls müssten wir nach Zwolle zurück und dort abwarten. Glücklicherweise gelangen die Sprengungen und wir konnten weiter fahren.Aufgrund der vorangegangenen Sperrung hat es kaum Verkehr auf der Ijssel, weder Berufs- noch Sportboote. Erst gegen Abend ändert sich das. So kann Thomas nach Belieben die Kurven „schneiden" und so der Strömung etwas ausweichen. Es ist auch so noch schwer genug, ein Boot mit 25 t Verdrängung gegen den Strom voran zu treiben.In Zutphen angekommen, legen wir nicht im neuen, ausserhalb gelegenen Hafen an, sondern mitten im Städtchen. Thomas will mir beim Festmachen behilflich sein und verlässt kurz den Steuerstand. Dies muss er umgehend teuer büssen! Durch den starken Schwell, den die vorbeifahrenden Berufsschiffe gleich ausserhalb des Hafens verursachen, driftet unsere „Escape" mit dem Heck an die Hafenmauer. Sein heissgeliebtes „Escape-je", das Beiboot, wird dabei an die Davits-Halterung gedrückt und aufgerissen. Da steht eine Reparatur an!

Dienstag, 07.10.2014.

Heute sind wir schon früh los, ist auch besser für Toby, wenn gleich nach dem morgentlichen Spaziergang gestartet wird. So kann er dann in aller Ruhe sein Verdauungsschläfchen neben dem Steuerstand halten. Toby scheint zu spüren, dass wir die nächsten Wochen unterwegs sein werden. Hat er auf unseren bisherigen Törns (7 – 12 Tage) nie vor dem Etappenziel gefressen – jetzt plötzlich geht's. Ebenso Mittagsschlaf auf dem Sofa und spielen. Kluges Kerlchen.Unsere Fahrt geht weiter auf der Ijssel, dann dem Pannerdens-Kanal. Ich mag nicht auf's Deck, das Wetter ist garstig geworden, mit zum Teil heftigen Windböen. In Millingen a/d Rijn biegen wir dann in einer scharfen Rechtskurve auf die Waal ein. Dort geht es zu wie auf der Autobahn! Ein Berufsschiff nach dem anderen und mitten drin die verhältnismässig kleine „Escape". Zum Glück dauert die Fahrt bis Nijmegen bei 10 Kn/h über Grund nicht mehr allzu lange. Ruhig ist es im Hafen vorerst aber auch nicht: auf der Havenkade ist grad Kirmess. Doch bei € 12.00 Liegegeld inkl. Strom soll man sich nicht beschweren.

Mittwoch, 08.10.2014

Ohne Wecker ist der Skipper früh aufgewacht! Nach einem ausgiebigen Frühstück fahren wir mit Glockenschlag 9 Uhr aus dem Hafen. Die erste Schleuse bleibe ich noch trocken, nach der zweiten muss ich mich umziehen. Jeans und Socken sind nass, die Schuhe auch... Aber der Salon ist geheizt und Thomas beschliesst, die Weiterfahrt am Innensteuerstand zu absolvieren.Kurz vor 16 Uhr erreichen wir den Jachthaven De Maas in Venlo und Thomas ruft Dani Huber an, ob sie schon angekommen sind. Sind sie, aber sie liegen im Stadthafen an der Havenkade. Wir freuen uns, Dani und Elsbeth wieder zu sehen. Letzten November, anlässlich der GV des Schleusenschiffer-Klubs in Rheinfelden, hatte sich Elsbeth neben Thomas gesetzt. Nach wenigen Minuten fragte sie: bist du nicht der Thomas, der in Dürnten aufgewachsen ist? Klar doch! Er war ein Schulkollege ihres jüngeren Bruders.Nun sind die Beiden auf der Rückreise von Frankreich nach Holland und so kommt's zu diesem Wiedersehen. Beim Apéro auf ihrer schönen „L'Arc-en-Ciel" erzählen sie von ihren Erlebnissen und geben uns gute Tipps für unsere Reise. Bei Elsbeth's Schilderung des ersten Tunnels, den wir passieren müssen, habe ich zum Poulet mutiert – Hühnerhaut pur! Das Abendessen haben wir auf der „Escape" eingenommen. Aus dem wunderbaren Räucherlachs, den uns Peter vom 't Kraantje zum Abschied geschenkt hat, gab's das Lieblingsessen von Thomas: Lauch/Lachs-Quiche. Es war ein gemütlicher Abend, mit herrlichen Anekdoten und wir haben viel gelacht. Und wenn ihr dies hier lest, habt ihr das auch Dani zu verdanken. Er hat uns seinen SIM-Internet-Router für Frankreich überlassen. Herzlichen Dank!

Donnerstag, 09.10.2014

Pünktlich um 9 Uhr legt die „L'Arc-en-Ciel" ab und wir winken unseren Schweizer Freunden nach. Nach dem Frühstück und einer Inspektion des Maschinenraums ist es um 10 Uhr auch bei uns so weit, dass wir die Leinen los machen können (wir haben eben noch unseren Vierbeiner!). Bei der Hafenausfahrt fährt in diesem Moment ein alter Lastkahn mit Alteisen auf der Maas bergwärts, ein polnischer „Seelenverkäufer". Bei der nächsten Schleuse dürfen wir hinter diesem Lastschiff einfahren. Der Pole fährt ein, es gibt einen lauten Knall, der Motor ist aus. Der Bug wird steuerbord befestigt, das Heck liegt backbord an der gegenüberliegenden Schleusenwand. Mit genügend Abstand machen wir die „Escape" fest. Der polnische Skipper ist während dem Aufschleusen im Maschinenraum verschwunden, nur der Matrose steht vorne auf dem Bug. Wir machen uns in Gedanken schon auf einen längeren Aufenthalt gefasst. Als sich aber das vordere Schleusentor öffnet, macht der Matrose das Tau los, die „Navigare 1" wird mit einem lauten Knall gestartet und los geht's wieder. Unser Vertrauen in diese Technik hält sich aber in Grenzen und schwarze Köpfe vom Russ sind auch nicht das Wahre. Nichts wie überholen und weg war die Devise.

Fendermaus Schleuser Maasbracht 13m

Hafeneinweihung in Maasbracht
DSCN0257 DSCN0253

 

Unterwegs haben wir dann noch, bei Roermond eine schöne Badebucht entdeckt – Thomas hat eine Abzweigung verpasst. Nur ist jetzt das Wetter zu kalt zum Baden. Aber wir kommen ja in der wärmeren Jahreszeit wieder vorbei auf unserem Weg zurück in den Norden. Wieder auf Kurs sehen wir das erste Mal einen Wegweiser nach „Maastricht". Vorher ist jetzt aber die Schleuse Heel zu bewältigen. Und wer wartet da auch? Richtig, unser Pole (er hat ja keinen Abstecher gemacht)! Gleiches Prozedere wie gehabt, nur kennen wir das jetzt. Sieben Meter geht's aufwärts, aber mit Schwimmpollern kein Problem.In Maasbracht tanken wir unsere „Escape" bei Oliehandel Tullemans zum sensationellen Preis von € 1.28 pro Liter Diesel. Gleich gegenüber ist ein kleiner moderner Hafen mit allen Annehmlichkeiten. Der freundliche Hafenmeister begrüsst uns gleich und bittet uns, doch zwei Nächte zu bleiben, da am kommenden Tag der Provinzgouverneur und 150 weitere geladene Gäste zur Eröffnung des neuen Hafens und seiner Umgebung kommen würden. Er hätte gerne einige schöne Schiffe in seinem Hafen. Diesen Wunsch erfüllen wir ihm gerne, umso mehr, als die zusätzliche Nacht gratis ist und das schöne Städtchen alle Einkaufsmöglichkeiten bietet.

Freitag, 10.10.2014

Heute schalten wir einen (ersten) Liegetag ein. Das fällt uns in diesem schönen und interessanten Hafen nicht schwer. Waschen ist angesagt, das Wetter ist schön und es weht ein kräftiger Wind und so ist die Wäsche im Nu wieder trocken. Thomas widmet sich der Pflege der „Escape" und hält einen Schwatz mit dem deutschen Bootsnachbarn. Dabei entdeckt er auf der Backbordseite einen tiefen Kratzer unterhalb der Scheuerleiste. Den ganzen Tag überlegen wir, was passiert sein könnte, wir haben ja nirgends touchiert. Erst beim Abendessen kommt mir wieder in den Sinn, wie kürzlich in unserem Heimathafen in Zwartsluis ein Boot vom hinteren Teil unseres Steigers auslief und bei uns (am Kopf des Steigers) wendete. Ich hörte es krachen und lief in die Achterkajütte. Das Beiboot schaukelte hin und her! Thomas meinte: der macht eine Probefahrt und hat jetzt halt das „Escape-je" berührt. Nicht weiter schlimm. Doch, war es, das Beiboot hat nicht die Breite unserer „Escape" und deshalb hat er dann diese mit seinem Auspuff erwischt und ihr eine lange Schramme verpasst, der Trottel! Hätte Thomas nur sofort nachgeschaut. Dann hätte die deutsche Neu-Eignerin wohl auch nicht die Courage gehabt, mir anderntags Hundekotbeutel verkaufen zu wollen, wie sie vielerorts gratis zu haben sind! Ich dachte nur: die hat einen an der Waffel...Zum Glück ist der Skipper technisch bestens ausgerüstet und handwerklich versiert, So stehen jetzt halt Reparaturen an Yacht und Beiboot an. Am Nachmittag machen wir aber vorerst einen Bummel durchs Städtchen und gönnen uns ein feines Eis im Café an der Hafenkade.Vor dem Abendessen machten die Bootsnachbarin mit ihrer Riesenschnauzerhündin Nicki und ich mit Toby noch einen stündigen Abendspaziergang, während die Herren sich einen Apéro gönnten.

Samstag, 11.10.2014

Rund um den Hafen werden die letzten Vorbereitungen für das anstehende Fest getroffen. Thomas besorgt sich die fehlenden Utensilien für die Reparatur. Ich will eigentlich einkaufen gehen, komme aber nur bis zum Kappsalon (Coiffeur). Gleich um 12 Uhr bekomme ich einen Termin und lasse mir die Haare auf reisetaugliche Kürze schneiden. Danach noch einkaufen, das muss schon sein. Toby hat noch einen langen schönen Spaziergang zwischen Mais- und Rübenfeldern und zurück über den Deich der Maas entlang bekommen. Thomas schleift, spachtelt und malt inzwischen.Draussen, im Vorhafen, spielt die Blaskappelle, geladene Gäste und die Stadtbevölkerung feiern. Wir benutzen die Gelegenheit, uns wieder mal mit dem world-wide-web zu beschäftigen. Nicht jeder Hafen bietet diesen Luxus und man weiss nie, wie lange es dauert, bis zum nächsten Mal.Unser Schreck ist gross, als wir auf der Seite des VNF (voies navigables de France) lesen, dass der Canal des Vosges ab dem 03.11.2014 für einen Monat geschlossen wird! Wir waren davon ausgegangen, dass er erst am 15.11. dicht macht. Jetzt müssen wir aber mächtig Gas geben, geplante Treffen und Besuche von Gästen für die nächsten Wochen müssen wir leider absagen.

Sonntag, 12.10.2014

Um 9 Uhr legen wir ab und fahren zur Schleuse von Maasbracht gleich nach den Hafenausfahrt. Nach kurzer Wartezeit, es kam noch ein Berufsfahrer der Vortritt zur Einfahrt hatte, können wir rein. Das Echolot zeigt uns eine Hubhöhe von 12.50 m ab. Da die Schleuse mit Schwimmpollern ausgestattet ist, ist alles halb so wild. Bei sonnigem Herbstwetter fahren wir anschliessend auf dem Juliana-Kanal weiter Richtung Maastricht. Um 11.30 Uhr haben wir bereits die Schleuse Born, wieder 12.70 m Hub, passiert.Kurz vor Maastricht wird die Schweizerflagge eingeholt und die holländische gehisst. Unsere „Escape" ist in Amsterdam registriert und bei Grenzübertritten stellen sich so keine unnötigen Fragen.In Maastricht legen wir mitten in der Stadt an und machen mit Toby einen Rundgang. Die Promenade entlang des Kanals ist gesäumt mit Edelkastanien. Um 15.30 Uhr legen wir wieder ab und fahren weiter der belgischen Grenze entgegen. Kaum in Belgien, wieder eine Schleuse. Wir warten 30 Minuten auf die Einfahrt und erhalten dann die Erlaubnis, hinter der „Celtic" (L 110 / B 11.45) in die 135 m lange Schleuse einzufahren. Diesmal reicht's für uns nicht für einen Schwimmpoller und ich muss die Höhe von 13.80 m mit Tau umhängen an der Treppe bewältigen. Zum Schluss wollen mir fast die Arme abfallen und die Muskeln neben der Wirbelsäule melden sich auch...Abends, kurz vor 18 Uhr, machen wir am Quai vor dem Institut Zoologique in Lüttich/Liège fest.

Tagebuch Woche 2

Montag, 13.10.2014

Gassi gehen mit Toby beendet, Frühstück auch. Bei mir ist es klein ausgefallen. Seit 7 Uhr waren die Berufsfahrer wieder unterwegs und mein Gleichgewichtsorgan wollte aus dem Ruder laufen. Der Schwell am Quai, wo wir über Nacht angelegt hatten, war beträchtlich. So legten wir um 8.45 Uhr ab. Frische Luft um die Nase hilft allemal und wir müssen voran kommen.Nach 1 1/2 Stunden erreichen wir die erste Schleuse, eine Grossbaustelle rund herum. Die Schleuse selber alt und sehr schmutzig. Hinter uns legt noch ein Lastschiff an. Wir müssen ganz nach vorne, aber es gibt kaum Strömung, nur schmutzige Hände. Wieder sind wir 4.5 m höher. Auch die Landschaft hat sich die letzten zwei Tage massiv verändert. Nach sieben Monaten Niederlande säumen nun Hügel und kleine Felsmassive die Meuse belge. Entlang dem Ufer Steinbrüche und viel Schwerindustrie (Arcelor ist allgegenwärtig).Bei der zweiten Schleuse müssen wir eine Talschleusung abwarten und legen an. Ich klettere die Leiter hoch und Thomas reicht mir Toby hoch. Gelegenheit für einen kurzen „Pipi"-Gang. Zurück an Bord kommt eine Windböe und bläst unser sauberes Boot voll mit Birkenlaub und -sämchen. Schande! Wir erhalten die Erlaubnis, hinter den Frachter „Lambada" (L 110) in die 135 m lange Schleuse einzulaufen. Leider ist dieser Skipper nicht so freundlich, die Motoren abzustellen. Aber wir haben auch das gemeistert. Nach der Ausfahrt habe ich erst mal das Schiff gereinigt und danach Mittagsschlaf gehalten. Aus diesem werde ich geweckt für die dritte Schleuse von heute. In deren riesigen Kammer verlieren sich der 110 m lange Frachter, ein Schlepper und die „Escape" beinahe. Die Schleusung von 5.20 m geht zügig voran und wir können bei sonnigem Wetter unsere Fahrt durch die Ardennen fortsetzen. Kurz vor Namur folgt die für heute letzte Schleuse.Nach dem Anlagen mache ich mich auf den längst fälligen Spaziergang mit dem geduldigen Toby. Dieser wundert sich ob der vielen Gänse und Enten, die auf dem Weg und Rasen entlang des Port de Namur watscheln. Zu Fuss hat er diese Tiere noch nicht erlebt! Abends will er dann noch mit einem weiteren putzigen Tierchen spielen, das er entdeckt hat: eine Ratte! Wie froh bin ich, dass mein Job die Küchenarbeit ist und Thomas dafür den letzten Rundgang mit Hundchen übernimmt. Lieber geniesse ich von drinnen den herrlichen Ausblick auf die beleuchtete Uferpromenade und die Zitadelle von Namur.

Gegensätzlicher könnte es nicht sein, Kontraste der Stadt,
Namur BrückeNamur Alt Neue Wahrzeichen
Ende einer Technologie - KopieTragisches Ende Industrie

 Atomkraftwerk Ruine "das Ende eines Irrglaubens"                                       Das tragische Ende einer ehemals blühenden Industrie

Dienstag, 14.10.2014

Bei traumhaftem Wetter verlassen wir um 9.15 Uhr den Port de Namur. In Sichtweite die Schleuse La Plante. Vor uns ein Berufsschiffer und kein Platz für uns zum Mitschleusen. So dauert es eine Stunde, bis wir die ersten 500 m zurückgelegt haben (und Marseille ist noch weit...).

 Langsam endet die Fahrt auf der Maas (Meuse)
 Auf der Maas  Felsige Landschaft
 Dinant Anfahrt 1  Dinant Anleger besetzt
Dinant Anleger Passagierschiffe Bordfrau kocht

 

Die zweite Schleuse kostet uns eine weitere Stunde (il faut patienter un peu) aber dann geht's zügig vorwärts und wir geniessen die traumhafte Gegend Walloniens. Sanfte Hügel wechseln sich ab mit schroff abfallenden Felswänden. All das präsentiert sich uns in den herrlichen Farben des beginnenden Herbstes. Malerische Dörfer und prächtige Villen mit schönen Parkanlagen säumen das Ufer. Das Thermometer zeigt angenehme 18° C.Thomas übernimmt heute, oder solange nötig, die Schleusenarbeit für mich. Meine beeinträchtigte rechte Hand (nach 2 OPs und CRPS-Erkrankung) hat nach den letzten Anstrengungen mit heftigen Schmerzen reagiert. Aber so können wir die Weiterfahrt gut organisieren.Um 15 Uhr erreichen wir Dinant. Die Gästesteiger beim Hotel Ibis sind schon abgeräumt. Entweder, weil die Saison zu Ende ist, oder weil sie, wie die restliche Stadt, am zerfallen sind. Die „Escape" wird vor dem Casino festgemacht. Wie sich herausstellt, wird da nur noch „Line-Dance" getanzt und nicht mehr gezockt! Auf meinem Rundgang mit Toby bin ich erschüttert über den Zustand dieses Städtchens. Alles ist heruntergekommen und schmutzig. Die noch geöffneten Strassencafés wirken nicht einladend. Auch die Passanten machen einen verwahrlosten Eindruck auf mich. Ich komme mir vor wie auf der Geisterbahn...Da ich aber Belgien nicht verlassen will, ohne eine Gauffre au chocolat genossen zu haben, suche ich weiter nach einem anständigen Café. In der Nähe einer Schule finde ich endlich etwas angenehmes. Die Besitzerin macht mir die gewünschte Waffel. Herrlich, mit flüssiger, schwarzer Schokolade aus Belgien. Nur, das Messer rutscht mir aus der geschwächten rechten Hand und schon sind Jeans und Pulli auch garniert! Jetzt sehe auch ich nicht mehr ganz so sauber aus.Thomas hat in der Zwischenzeit über den Karten gebrütet und die Höhe unserer „Escape" nochmals nachgemessen. Die Unsicherheit, ob wir die geplante Route (Canal des Vosges) schaffen, bevor die Schleusen wegen Revisionsarbeiten geschlossen werden, lässt ihm keine Ruhe. Dies trotz des beruhigenden Mails von Doris Sutter (MS Beluga). So tritt nun definitiv Plan B in Kraft.Noch etwas gibt uns Rätsel auf: bei unserer Ankunft heute Nachmittag haben wir exakt gleich viele Motoren Stunden wie bei der Abfahrt!?

Mittwoch, 15.10.2014

Ich stehe um 7.30 Uhr auf. Aussentemperatur 7.5° C, innen 11.5° C. Im Haus meiner Grosseltern war es auch nicht wärmer beim Aufstehen und wir waren trotzdem gesund. Die Wärme der letzten Tage will sich nicht mehr einstellen, gegen Mittag hat es lediglich 10° C. Aber wir freuen uns trotzdem an der Schönheit der Aussicht auf Château de Freyr und den imposanten Rocher de Freyr. Die dichten Mischwälder sind wir uns von unseren letzten Monaten in Holland auch nicht mehr gewohnt.

 Zeugen ehemaligen Reichtums der Industriellen
Chateau Freyr Garten Chateau Freyr 2
Chteau Freyr Platanen Buchen Allee

Jetzt wird's aber Zeit für eine Tasse heissen Tee. Von Johan und Marianne aus Blokzijl haben wir eine herrliche Mischung mit auf den Weg bekommen. Der Tee wärmt uns wieder auf bevor wir zur nächsten Schleuse kommen (der vierten von heute). Die Ampel steht schon auf grün als wir ankommen. Hastière, Ecluse nº 1 und somit die letzte in Belgien, ist liebevoll gepflegt mit schönen Blumenbeeten und dem Namen der Schleuse in Form von Blumen vor dem Schleusenwärterhaus.Kurze Zeit später verlassen wir Belgien. Wir wundern uns immer noch über die Aussage eines Schweizer Skippers, den wir am ersten Tag in Belgien gekreuzt hatten. Thomas fragte diesen über Funk: woher, wohin? Die Thurgauer waren von Frankreich kommend Richtung Maastricht unterwegs und er beschwerte sich, dass die Belgier so richtig abkassiert hätten. Wir hingegen haben für die Durchfahrt keinen Cent bezahlt. Ob's an der holländischen Flagge lag? Vielleicht werden nur Schweizer Kühe gemolken?In Givet, der französischen Grenzstadt, treffen wir bei der Einfahrtsschleuse auf äusserst freundliche und hilfsbereite Schleusenwärter des VNF (voies navigables de France). Thomas erledigt die Formalitäten. Die „Escape" ist in ihrem System erfasst, da im Seefahrtregister von Amsterdam eingetragen. So wird noch die Vignette für die Kanalfahrten gelöst und die Fernbedienung für die automatischen Schleusen ausgehändigt. Zusammen mit meinem Skipper suchen sie dann in ihrem Computersystem den besten Weg, damit wir nicht auf geschlossene Strecken treffen sollten (Pannen ausgeschlossen).Ich führe unterdessen Toby auf dem Damm spazieren. Es riecht überall so herrlich nach Mäusen. Genau was unser Vierbeiner liebt!Im Städtchen Givet legen wir um 14 Uhr an. Auch hier, die Saison ist vorbei, kein Strom und kein Wasser. So wird halt das Duschen weiterhin auf Katzenwäsche reduziert, damit unser Vorrat bis zum nächsten Anschluss reicht.Anschliessend wird die „Escape" zum Cabrio umgebaut. Alles was höher als 3.20 m ist, muss runter, d.h. Bimini abräumen und Geräteträger nach hinten geklappt werden. Alle abnehmbaren Teile werden in der Vorderkajütte verstaut. Diese ist nun nicht mehr Gästekajütte und Waschküche, sonder Abstellkammer und Waschküche! Wir sind kaum fertig, setzt Regen ein. Oeffnet man jetzt das Schiebeluk, regnet's direkt in den Salon... Bitte, lieber Petrus, die nächsten zwei Wochen würden wir uns freuen, wenn mehr die Sonne scheint als Regen fällt!

Donnerstag, 16.10.2014

Die Sonne blinzelt zwischen den Wolken durch, als ich um 8 Uhr aufstehe. Eine halbe Stunde später wecke ich die männliche Besatzung. Da fällt schon wieder Regen. Thomas führt Toby aus und ich mache Frühstück. Heute müssen wir gut gestärkt in den Tag, denn gleich zu Beginn erwartet uns das Bouquet: der Tunnel von Ham (565 m)! Meine Nerven sind gespannt wie Drahtseile. Aber schon bei der Einfahrtsschleuse Trois Fontaines scheint die Sonne. Dann die Tunneleinfahrt. Ich verfolge die stockfinstere Fahrt auf der Innentreppe sitzend. Ist besser so, dann kann ich Thomas nicht nervös machen... Er hat einen Scheinwerfer auf die Bugspitze und zwei LED-Lampen an die Seitenwände gerichtet. Die Anspannung ist gross, aber dann sind wir durch. Kaum sind wir draussen, verdunkelt sich der Himmel wieder, aber das Wetter hält sich tapfer, bei angenehmen 18° C.Durch ein einsames Tal, dicht bewaldet und kaum bewohnt, erreichen wir gegen 13 Uhr Fumay. Eigentlich war dieser Ort als heutiges Etappenziel gedacht. Es läuft uns aber so gut, dass wir beschliessen, weiter zu fahren. Nur haben wir die Rechnung ohne den Zufall gemacht. Ecluse nº 53 will einfach nicht hinter uns schliessen. Da heisst es, erst mal auf einen Techniker von VNF warten. Und siehe da, der kommt schneller als gedacht und wir sind nach 30 Minuten schon weiter. Glück gehabt. Ecluse nº 50 (Revin) verlangt uns alles ab. Backbord, wo die Stange für die Selbstbedienung steht, fehlen die Festmacher in der Wand. Die Leiter befindet Thomas als für mich zu hoch und zu schlammig, um die Poller zu erreichen. So machen wir die „Escape" mal steuerbord an Bug und Heck fest und Thomas hangelt sich vom Bug zur Leiter hinüber. Ich wage kaum hinzuschauen. Dann klettere ich auf's Vorschiff und werfe ein Tau für die Mittelklampe. Nun muss er um die Schleusenkammer herum, um die Schleusung zu starten und anschliessend auf gleich abenteuerliche Weise wieder zurück auf's Boot. Et voilà, danach ist der nächste Tunnel von Revin geradezu ein Klacks!Der Kanal ist hier sehr eng, dicht bewachsen. Die heutige Etappe hat uns sehr gefordert und nach der für heute 12. Schleuse verlassen uns die Kräfte. Um 17.30 Uhr machen wir im Dörfchen Laifour fest. Strom und Wasser auch hier schon im Winterschlaf. „L'été est fini" meint die nette Spaziergängerin. Ja, wir haben's auch schon festgestellt. Heute waren wir tatsächlich alleine unterwegs.Für Toby ist es hier ganz toll. Dem Kanal entlang kann er seine Runden rennen und sich austoben. Unter einem Baum findet er einen abgebrochenen Ast, mindestens 4 m lang. Den zieht er mit aller Kraft zu mir, damit wir „Stecklein werfen" spielen können! Ich finde dann ein geeigneteres Objekt. Thomas ist unterdessen ins Dörfchen zum Einkaufen. Er trifft auf zwei Gendarmes, die ihm erklären, dass nach Saisonende der Dorfladen geschlossen ist, „même l'église est fermée!" - Hier sagen sich tatsächlich Fuchs und Hase gute Nacht...

Freitag, 17.10.2014

Auf dem Morgenspaziergang mit Hundchen besorgt Thomas im nahen Restaurant noch Baguette und Tabac. Dann geht's weiter. Der Kontrolleur des VNF ist auf schon auf seiner Tour und so können wir in den ersten beiden Schleusen gleich einfahren. Wir gleiten durch einen kleinen Seitenkanal der Meuse. So weit das Auge reicht nichts als Wälder und Hügel. Die Ardennen sind über weite Strecken noch unberührte Natur. Dazwischen wieder kleine Siedlungen und Dörfer mit Häusern aus Stein und viel Ocker. Es mutet uns etwas an wie das Tessin. Der Himmel ist noch Nebel verhangen, in der Nacht hat es kräftig geregnet.In Monthermé liegt gleich nach der Brücke am Steiger die „Soraya", eine sehr schöne Luxemotor, Baujahr 1926, und bunkert Wasser. Wir nichts wie hin. Für € 6.50 und gegen Hinterlegung des Personalausweises erhalten wir einen Anschluss und können endlich unseren Wasservorrat wieder auffüllen. Während dem Auftanken halten wir ein Schwätzchen mit der netten Dame von der Capitanerie und den beiden Briten von der „Soraya". Und, endlich gibt's wieder eine warme Dusche!Um 14.15 Uhr treffen wir in Charleville-Mézières ein und legen im schönen, gepflegten Hafen an. Aber auch der ist bereits im Winterschlaf. Rund um das Hafenbecken baden die Fischer ihre Würmer. Mal schauen, ob's mit unserer Bestellung für das Nachtessen klappt.Thomas ist unterwegs in die Stadt um sich eine französische SIM-Karte für das Mobile-Telefon und das Abo für das Internet zu besorgen. Ich sitze noch über dem Streckenplan und mache mir Gedanken zu Einkaufsmöglichkeiten und Menueplanung. Unterdessen ruft noch unser Freund Johan aus Blokzil an und erkundigt sich, wo wir sind und ob alles in Ordnung sei.Dann mache ich mit Toby einen Rundgang in der weitläufigen Parkanlage des Mont Olympe, die den Hafen umgibt. Hier kann er wieder nach Herzenslust rennen und schnüffeln. Ein paar Männer spielen Boules und wir schauen eine Weile zu. Spontan lädt mich einer ein mitzuspielen. Die letzten Tage habe ich so viele freundliche und hilfsbereite Menschen hier in Frankreich getroffen. Nun muss ich die schlechten Erfahrungen, die wir vor ein paar Jahren in Arles gemacht haben, schnell vergessen.

Samstag, 18.10.2014

Was für ein Gefühl, frisch geduscht! Nur Toby hat sich unter dem Tisch verkrochen und ahnt Böses. Aber wir belassen es für heute beim Fell bürsten. Das Wetter ist traumhaft schön, was den Nachteil hat, dass man Schmutz und Staub noch besser sieht. Der Skipper meint, ich könnte doch in der bordeigenen Waschmaschine waschen und dann während der Fahrt die Wäsche trocknen lassen... Ja, so stell ich mit das auch vor: mit frisch gewaschener Wäsche an der Leine in schmutzige Schleusen fahren! Also schalten wir einen Liegetag ein. Thomas putzt die „Escape" aussen und ich innen und gleichzeitig wird gewaschen. Danach geht er zum Einkaufen in die nahe Stadt. Ich drehe wieder mit Toby meine Runde im Park. Es ist viel los heute, die Base Nautique veranstaltet Kanu- und Kajakwettfahrten auf der Meuse und die Stadt führt einen Postenlauf für Jung und Alt durch. Die Fischer sind auch seit dem frühen Morgen wieder da.Mein geschickter Handwerker hat heute früh festgestellt, dass das Wasser nicht abgestellt ist, nur der Anschluss abmontiert wurde. Auf seiner Einkaufstour sucht er nach einem passenden Verbindungsstück für unseren Wasserschlauch. Der Grossist für Handwerker ist weit ausserhalb der Stadt, zu Fuss oder mit dem Fahrrad nicht eben leicht zu erreichen und so versucht er es bei einem Haushaltwarenhändler. Mit einem Anschlussschlauch für Waschmaschinen bastelt er dann das Teil. Nun haben wir wieder 600 Liter Frischwasser im Tank trotz vorherigem duschen, putzen und gesamte Wäsche waschen. Und zur Krönung übernimmt er heute noch den Küchendienst. Was will Bordfrau mehr?!Das Wetter war heute schlichtweg fantastisch. Um 17.30 Uhr, die Sonne ist schon am sinken, zeigt das Thermometer aussen 27° C und innen ist's 34° C (bei offenen Fenstern/Luken und ohne Heizung wohlverstanden).Nach dem Abendessen unternehmen wir noch einen Abendspaziergang zu dritt durchs Städtchen. Auf dem wunderschönen Place Ducale dreht ein antikes zweistöckiges Karussell seine Runden. Die Cafés sind bevölkert wie im Sommer. Aus einem Hinterhof werden wir von schöner Musik angezogen. Dort drinnen befindet sich das Musée de l'Ardenne. Aus Anlass des 20. Jubiläums wurde die Fassade des Gebäudes mit einer tollen Video-Installation beleuchtet und eben dieser Musik untermalt.Einige Geschäfte haben noch geöffnet und so können wir unseren Essensvorrat in einem feinen Comestible noch mit Gemüse und Käse (sogar Fribourger Alpkäse!) ergänzen.

Sonntag, 19.10.2014

Um 9.15 Uhr verlassen wir diesen schönen Ort bei herrlichem Herbstwetter. Die Ardennen werden hier immer offener. Laubbäume und Wälder zeigen sich uns in ihrer ganzen herbstlichen Pracht. Es ist auch heute wieder unglaublich warm mit 24° C. Ich entledige mich Schicht für Schicht meiner Kleidung (T-Shirt behalte ich an). Nebst den obligaten Fischern hat es viele Jogger, Fahrradfahrer und ganze Familien auf ihrem Sonntagsausflug entlang der Meuse. Heute ist sogar auf dem Wasser extrem viel los! Wir kreuzen drei Boote, nachdem wir tagelang alleine unterwegs waren.Nach 8 Schleusen und etlichen Höhenmetern erreichen wir um 15.30 Uhr unser heutiges Etappenziel Mouzon.Dieses Städtchen geht auf die Gallier und Römer zurück. Seine Geschichte weist sich durch zahlreiche Belagerungen aus und noch heute bestehen Teile der Befestigungsanlage. Ich schnappe mir also Idefix, ähh Toby, und mache mich auf die Suche nach Asterix und Obelix. Entweder sind die Beiden beim Senioren-Tanz vis-à-vis oder spielen Lotto bei den Pompiers. Nur die grossartige Kirche kann ich bewundern und merke mir, wo Thomas morgen früh frisches Baguette kaufen kann.Auf dem Parking neben der Anlegestelle – wo wir auch hier wieder das einzige Boot sind – stehen fünf Mobilehomes. Nebst einem Franzosen, zwei Belgiern, einem Holländer auch ein Schweizer mit Genfer Kennzeichen! Mit diesem sind drei unternehmungslustige Damen aus der Region Genf/Vevey unterwegs. Sie sind etwa gleich erstaunt wie wir, in dieser Gegend und um diese Jahreszeit auf Landsleute zu treffen. Danielle, Marianne und Nathalie kommen zu uns auf die „Escape" zum Kaffee und wir verbringen einen gemütlichen Abend zusammen.

Mouzon Mouzon Befestigungsanlage

Tagebuch Woche 3

Montag, 20.10.2014

Ein belgischer Camper-Nachbar erzählt heute Morgen, dass er wegen Schlaflosigkeit nachts aufgewacht ist. Bei seinem Rundgang über den Parkplatz hat er gesehen, dass Katzen auf die „Escape" rauf sind und unser Boot in Augenschein genommen haben. Das bedeutet, unser Wachoffizier Toby nimmt seine Pflichten nicht wahr, er hat nämlich tief geschlafen (wie wir auch)!Um 9.45 Uhr legen wir ab. Der Skipper kam spät aus den Federn. Das kommt davon, wenn man Damenbesuch hat und das gleich in dreifacher Ausführung.Die erste Strecke fahre ich, während Thomas unten die Zeitung liest. Es ist wie im Märchen, der Fluss, dichter bunter Wald, ab und zu eine einsame Hütte oder ein vertäutes Fischerboot. Von weitem glänzen zwei weisse Schwäne als Kontrast zum Dunkel der Bäume. Schleuseneinfahrten muss aber Thomas fahren. Die Enge dieser Passagen kommen mir vor wie Nadelöhre, kaum breiter als unsere „Escape".Um die Mittagszeit erreichen wir Ecluse nº 32. Die Ampel steht schon auf grün und das Tor ist geöffnet. Kurz vorher hatten wir ein belgisches Boot gekreuzt und so war die Schleusenkammer bereits abgesenkt, d.h. bereit zum Aufschleusen. So wünscht man sich das. Nur sollte dann das Schleusentor hinter einem auch wieder schliessen. Bei diesen Selbstbedienungsanlagen sind in der Schleusenwand Stangen eingelassen, die man für ein paar Sekunden hochheben muss, um den Mechanismus zu starten. Aber diese hier war am streiken. Also Thomas hoch an's Telefon vom ehemaligen Wärterhäuschen und da wurde uns Hilfe versprochen. Es blieb kaum Zeit für ein wärmendes Getränk, schon war der Techniker von VNF nach einer knappen viertel Stunde vor Ort und wir wurden 3 m höher gehievt.In Stenay fahren wir in den Hafen ein. Der Belgier hat uns gesagt, dass es da Diesel, Strom und Wasser gibt. Fehlanzeige. Wahrscheinlich hat das auf den Camping-Platz gleich gegenüber zugetroffen... Aber wenn wir schon mal festgemacht haben, kann ich auch gleich mit Toby einen Landgang machen. Auch hier hat es wieder viele Fischer, aber die von der unangenehmen Sorte. Einer schlägt seinen Hund, nur weil er sich erhebt und nach Toby schaut. Die anderen fühlen sich offensichtlich gestört durch ein Boot und dies immerhin in einem offiziellen Hafen. Einer bringt es sogar fertig, seine Angelrute zwischen unserer Bordwand und dem Steiger zu tauchen. Was für ein Crétin! Wir müssen ganz höflich bitten, damit sie ihre Ruten aus dem Wasser ziehen und wir diesen unfreundlichen Ort rasch wieder verlassen können.Bei der ehemaligen Eisenbahnbrücke vor Dun-sur-Meuse hat es eine (sehr alte) Tankstelle. Wir drehen und machen fest. Der Diesel kostet zwar soviel wie die ganze Saison nirgends, aber angesichts der Tatsache, dass überall wegen Saisonende dicht gemacht wird, will Thomas unbedingt den Tank auffüllen. Er ruft die angegebene Nummer an und erhält Bescheid, dass jemand komme. Während wir warten kommt ein alter Mann (85 J.) vorbei, sieht unsere Schweizer Flagge und erzählt, dass seine Mutter Waadtländerin gewesen sei. Er weiss auch sonst so allerhand zu erzählen von seinen vielen Reisen. Nach ungefähr 45 Min. kommen dann endlich unsere „Tankwarte" den Weg gefahren. Sie entschuldigen sich für die Verzögerung, aber den Anruf vom Chef hätten sie nicht gehört, sie seien mit dem Traktor unterwegs gewesen.Dafür bekommen wir noch geschichtliche Details zur genannten ehemaligen Eisenbahnbrücke und derjenigen, die wir kurz vorher passiert hatten. Diese dienten der deutschen Wehrmacht im 2. Weltkrieg als Transport- aber auch Rückzugsmöglichkeit. Als Druck zum Erreichen der Kapitulation bombardierten die Amerikaner diese beiden Brücken und schnitten so den Deutschen den Weg ab. Die Befehlshaber verweigerten aber die Kapitulation und wollten kämpfen „bis zum letzten Mann". Tausende kamen ums Leben, nur wenige überlebten. Was für ein Wahnsinn! Was Menschen mit Befehlsgewalt immer wieder durchsetzen können, leider auch heute noch.Heute liegen wir zur Abwechslung mal in einem noch geöffneten Hafen. Gleich hinter uns liegen drei Holländer mit einer wunderschönen Rundspant-Segelyacht (ohne Mast natürlich), die zufälligerweise in Zwartsluis (unserem diesjährigen Heimathafen) gebaut und der Refit von Derek Bonsink gemacht wurde. Die Drei freuen sich über ihre erste Dusche seit sechs Tagen. Unser Hund hatte schon länger keine und darf immer noch bei uns im Schlafzimmer schlafen!

Dienstag, 21.10.2014

Heute Morgen haben wir uns (schon wieder!) den Luxus einer Dusche erlaubt, da in diesem Hafen unser Wassertank nochmals aufgefüllt werden kann. Dafür fällt das Frühstück kürzer aus. Aber Thomas hat nicht nur frisches Baguette eingekauft, sondern auch noch die ersten französischen Croissants. Zusammen mit Honig vom Imker gleich neben unserem Heimathafen in Zwartsluis und frisch aufgegossenem Tee schmeckt das einfach himmlisch!Die erste Schleuse gleich nach dem Ablegen ist noch automatisch, ab nº 27 (Warinvaux) begleitet uns ein Schleusenwärter für die manuellen sieben Schleusen bis Verdun. Er kurbelt jedes Schleusentor auf, wir können einfahren. Dann nimmt er mir das Tau entgegen zum Festmachen. Er wieder zurück zum Tor, erste Seite schliessen, kurbeln von Hand. Dann um die ganze Schleusenkammer herum, damit die andere Seite geschlossen werden kann. Nun die Schieber noch fixieren. Wieder auf die andere Seite, ersten Schieber öffnen, dann den zweiten. Der gute Mann weiss am Abend sicher, warum er müde ist!

Das Wetter hält sich tapfer, obwohl Regen angesagt ist. Doch sind die 14° C gegenüber den letzten warmen Tagen doch empfindlich kühl. Die Wolkenschicht wird immer dünner, vielleicht sehen wir noch die Sonne?Vorerst mal vergebens gehofft. In der vierten Schleuse beginnt es leicht zu regnen. Thomas steuert jetzt vom Innensteuerstand, hier ist doch etwas wärmer. Nur muss er hier im Stehen steuern, und die Sicht ist auf nicht so gut wie von oben. Und dann beginnt es so richtig zu regnen.Bei der letzten Schleuse vor Verdun sehen wir links ein erstes Gräberfeld von gefallenen Soldaten. Mir wird ganz flau im Magen und man wird dabei sehr nachdenklich. Um 15.15 Uhr, nach 6 Stunden Fahrt, legen wir mitten in Verdun an. In dieser Stadt erinnert vieles an das ungeheure Blutbad (800'000 Tote) der grössten Schlacht des 1. Weltkrieges 1914-18. Mittlerweile regnet es wie aus Giesskannen. Wir essen erst mal einen Imbiss, nachdem das Frühstück heute kurz gehalten war. Der Regen lässt nicht nach, aber Toby muss jetzt mal. So marschieren wir los, ich mit Schirm und Toby mit tropfnassem Fell. Ich beschliesse, zum Sieges-Denkmal hoch zu gehen. Die ersten Stufen nimmt er locker. Dann schüttelt er sein nasses Fell und schaut mich an als ob er sagen wollte: bei diesem Wetter schickt man keinen Hund vor die Türe!

Verdun 3   Verdun 2

Mittwoch, 22.10.2014

Das war eine kurze Nacht. Bis 00.30 Uhr habe ich Tagebuch abgetippt. Ich war kaum eingeschlafen, kamen grölende, betrunkene Jugendliche an unser Schiff. Thomas ist sofort ins Bad zur offenen Luke gesprungen und hat sie angebrüllt, Toby hat gebellt wie wild. Das kleine Hündchen hat eine mächtig imposante Stimme! Jedenfalls war draussen augenblicklich Ruhe. Morgens um 7 Uhr hat dann ein Stadtangestellter den Quai mit einem Laubbläser gereinigt (Laubbläser = die wohl dümmste Erfindung aller Zeiten...). Am anderen Ufer werden die Bäume mit Lichterketten geschmückt, schliesslich ist in gut zwei Monaten Weihnachten. Gestern Abend haben die bereits geschmückten Bäume in blau (!) geleuchtet.Die Sonne scheint, aber es ist sehr kalt bei lediglich 5° C und recht kräftigem Wind. Thomas zeigt Toby auf dem morgendlichen Spaziergang auch nochmals das Sieges-Denkmal. Auf dem Rückweg machen sie Halt in einer Bäckerei und kaufen die besten Croissants die ich je gegessen habe, mit viel Butter gemacht. Diese Kalorien können wir dringend gebrauchen. Nach den zweieinhalb Wochen, die wir jetzt unterwegs sind, sind uns alle Jeans zu gross.Von der 2. Schleuse von heute (Belleray) bis zur 9. (Rouvrois) begleitet uns ein total fitter Schleusenwärter. Wenn wir ankommen, steht das Schleusentor schon offen und dann hopp und weiter. Wird wohl eine rekordverdächtige Fahrt nach Saint-Mihiel.

In der 6. Schleuse (Ambly) muss ich die „Escape" selber halten beim Raufschleusen. Den letzten Kilometer konnte Thomas nur noch schleichend zurücklegen, da der Wasserfilter der Motorenkühlung verstopft war. Bei der Abfahrt war er sauber geputzt! Also bat er den Schleusenwärter um 10 Minuten Geduld. Mais oui, on va faire lantement.. Er hat mir wohl zugetraut, das alleine zu können und er hat die Schleusenkammer auch ganz sachte gefüllt.Um 14.15 Uhr treffen wir bei mittlerweile sonnigem Himmel und immerhin 14° C in Saint-Mihiel ein. Der Anlegesteiger gehört wieder uns alleine, aber es gibt Strom und somit auch einen feinen Nespresso-Kaffee. Mit Toby mache ich einen Erkundungsrundgang und werde von einer Frau gefragt, ob ich wisse, wer gerade solche Hundewelpen zu verschenken habe. Ich erwähne die noble Herkunft von unserem Strolch nicht, sage ihr nur, dass dieser aus der Schweiz stammt. Toby macht heute mal wieder Stadt-Erfahrung, d.h. Strassen überqueren und immer schön „Sitz" vor dem Fussgängerstreifen und volle Aufmerksamkeit. Schadet nichts zur Abwechslung.Später widme ich mich noch der provisorischen Streckenplanung für den nächsten Abschnitt. Morgen werden wir den Canal de la Meuse verlassen und in den Canal de la Marne au Rhin (West) fahren. Dabei verlassen wir uns auf das Buch „Binnengewässer Frankreichs" (David Edwards-May), auf FreieTonne.de mit GPS-Maus und -Tracker und nicht zu vergessen, die Bücher und Erlebnisberichte von Doris Sutter (MS-Beluga), die uns auch immer mal wieder persönlichen Support per E-Mail gibt. Herzlichen Dank auch an dieser Stelle, liebe Doris! Diese lange Reise von Holland nach Südfrankreich ist für uns jeden Tag eine Herausforderung und Neuland.Nach dem Nachtessen gibt es dann kein Entrinnen mehr für unseren kleinen Landsteicher: Toby muss unter die Dusche! Nun sieht er wieder zum Knuddeln aus und riecht wie Mensch es liebt.

Donnerstag, 23.10.2014

Adieu, Saint-Mihiel. Um 9.30 Uhr starten wir zu unserer letzten Etappe auf der Meuse. Bis zur Abzweigung zum Canal de la Marne au Rhin (Ouest) erwarten uns noch 10 Schleusen. Diese fahren wir heute wieder mit Selbstbedienung. Der Angestellte von VNF ist auf seinem Kontrollgang und befreit die Schleusen von Ästen und Laub. So bleibt Thomas vielleicht das Reinigen unterwegs erspart.Doch schon bei der Ausfahrt aus der dritten Schleuse ist's vorbei mit der Herrlichkeit. Frisch gemähtes Gras vom Ufer wurde in den Kanal entsorgt und innert Minuten ist der Filter wieder verstopft. Mitten im schmalen Wasserlauf müssen wir anhalten, Thomas runter zur Reinigung und ich halte die „Escape" noch mit dem Bugstrahlruder auf Kurs. Wieder hatte es einen Eimer voll mit Laub, Gras und Ästchen, die angesaugt worden sind und so den Filter immer wieder verstopfen.Heute ist es nebelverhangen, leichter Nieselregen fällt, es ist knapp 10° C. Was wir aber aus dem Schweiz gehört und gelesen haben, lässt uns dieses Wetter erträglich erscheinen. Bei der Schleuse nº 5 (Euville) setzt sich auf das hinter uns schliessende Schleusentor ein Biber und putzt sich! Nur noch wenige Kilometer und wir haben unsere Fahrt auf der Meuse beendet. Dabei haben wir in einer Woche 272 km zurück gelegt und mit 59 Schleusen gegen 150 m an Höhe gewonnen. Bei Troussey zweigen wir ab in den Canal de la Marne au Rhin, der uns zum Canal entre Champagne et Bourgogne führt. Auf lediglich 111 km erwarten uns 82 Schleusen. Fitness-Studio brauchen wir vorläufig keines.

2 grosse Kanäle liegen hinter uns, aber erst halber Weg gefahren
Verzweigung

Kurz nach der Abzweigung erreichen wir unser heutiges Ziel: Void. Toby und ich erkunden den Ort, damit er Herrchen morgen früh zur Bäckerei führen kann. Anschliessend gehen wir noch den Wiesen entlang, Mäuselöcher schnüffeln! Toby's Schnauze ist schon wieder schmutzig. Unterdessen macht Thomas zum dritten Mal für heute den Filter sauber. Wenigstens die letzten paar Kilometer scheint das Wasser sauberer zu sein, hoffen wir mal, das bleibt so.

Freitag, 24.10.2014

Wir haben wieder geschlafen wie im Koma, die frische Luft und die Arbeit machen herrlich müde. Als ich um 7.30 Uhr aufstehe, zeigt das Thermometer aussen 1.5° C, innen ist es immerhin 9.5° C! Ich stelle die Heissluftheizung an und starte gleichzeitig den Stromgenerator, damit der Luftentfeuchter das Kondenswasser absorbieren kann. Als Thomas um 8 Uhr aufsteht, stellt er fest, dass die Kühlung vom Generator auch nicht i.O. ist. Deshalb übernehme ich die morgendliche Hunde-Runde, das Einkaufen und das Frühstück machen (abwaschen, Betten machen etc. ist selbstverständlich).Der Skipper hat seine Verrenkungen und Arbeit im engen Maschinenraum beendet, das Frühstück steht auf dem Tisch. Es wird 10.30 Uhr, bis wir heute endlich bereit sind zur Weiterfahrt. 13 Schleusen in kurzen Abständen von wenigen 100 m sind bis zum 5 km langen Mauvages-Tunnel zu bewältigen. Um 14.15 Uhr haben wir die Einfahrt zum Tunnel erreicht, müssen aber noch auf unseren Begleiter von VNF (per Fahrrad) warten. Auf UKW 20 meldet sich keiner... VNF Void ist nicht zuständig, wir warten weiter, Kanal 20 bleibt stumm... Ein Anruf in Bar-le-Duc zeigt dann mehr Wirkung: Void habe uns nicht angemeldet für die begleitete Tunnel Passage.

"Cabrio" fahren im Nebel, Sichtweite teilweise unter 100 m
Fahrt im Morgennebel Tunnel Balesmes

Mittlerweile war es Zeit für Toby, wieder mal von Bord zu gehen. Zusammen machten wir uns auf den Treidelpfad. Wir sind schon auf dem Rückweg, als uns ein Fahrradfahrer entgegen kommt und ruft, er müsse uns holen, es gehe ab durch den Tunnel. Jetzt plötzlich eilt's oder was?! Hat ja auch nur knapp 45 Minuten gedauert, bis einer gekommen ist (er war übrigens die „Vertretung", der Kollege sei unterwegs...). Er öffnet die Barriere und los geht es, auf eine fast 5000 m lange Tunnel Fahrt, der Mann von VNF mit Elektro-Bike immer dabei.Nach der Ausfahrt haben wir den Scheitelpunkt des Canal de la Marne au Rhin erreicht. Ab jetzt geht's abwärts. Nach der ersten Abschleusung machen wir um 15.15 Uhr in Demange-aux-Eaux fest. Es reicht für heute und der Filter des Kühlsystems ist auch wieder voll, schon wieder. Übrigens, das viele Gras im Kanal stammt von den Bauern, die verpflichtet sind, die Ufer zu mähen, aber den Schnitt einfach ins Wasser kippen. Darin verfangen sich dann auch noch Laub und kleinere und gröbere Äste. Nicht nur wir Bootfahrer haben deswegen grosse Probleme, sondern auf den VNF mit verschmutzen Schleusenkammern und als Folge davon nicht funktionierende Schleusentore. Aber Interventionen bei Behörden bringen nichts oder wenig, denn hier haben Bauern, Jäger und Fischer das Sagen.Heute Nachmittag habe ich die Strecke mit dem jetzt gewählten (Um-)Weg angeschaut. Da der Canal des Vosges wegen Revisionsarbeiten für einen Monat geschlossen wird, wollen wir nicht riskieren, stecken zu bleiben und haben diese Alternative gewählt. Hätte mir vor der Abfahrt in Zwartsluis jemand gesagt, dass wir auf unserer Reise von Holland nach Südfrankreich nicht nur 190 sonder mehr als 300 Schleusen bewältigen müssen... Schleusenschiffer Klub sei herzlich gegrüsst!

Samstag, 25.10.2014

Der Wecker von Thomas klingelt um 7.30 Uhr, ich bin aber schon eine halbe Stunde auf. Wir wollen früh los heute. Aber Fortuna ist uns nicht gut gesinnt. Beim Warmlaufen des Motors stellt der Skipper fest, dass die Motorenkühlung ausgestiegen ist. Filter ist sauber, Impeller intakt, also muss der Ansaugstutzen ausserbord (ca. 1 m unter der Wasserlinie) verstopft sein. Dieser verschlammte, verschmutzte Kanal kostet uns extrem Nerven!Da heute Samstag ist und unserer Vorräte langsam zu Ende gegen, mache ich mich mit Toby auf ins nächste Dorf zum Einkaufen. Aber wie so vieles hier auf dem Land ist auch dieser Ort am aussterben. Restaurant geschlossen, Bäckerei dicht, der Gemischtwarenhändler schliesst Ende Jahr auch. Der junge Mann, der ihn seit einigen Jahren betreibt, erzählt mir, dass der Bootstourismus von Jahr zu Jahr abgenommen habe und somit auch die Kundschaft im Dorf ausgeblieben sei. Ich kaufe frischen Lauch bei ihm, ausser diesem, Zwiebeln und Knoblauch hat er nur noch Konserven im Angebot. Er meint, in Houdelaincourt, ca. 2 km mit dem Fahrrad, hätte es bestimmt noch das Gewünschte. Die Metzgerei nebenan ist (noch) geöffnet. Ich kaufe zwei Cordon bleu, hätte aber halt schon lieber Gemüse, Salat und Früchte gehabt. Und Toby übergibt sind 2-3 mal auf dem Heimweg.Thomas hat inzwischen ein eiskaltes Bad im Kanal „genossen" aber auch nichts feststellen können. Dann wird ein Sonnenschirm in seine Einzelteile zerlegt, um mit dem Gestänge das Ansaugrohr frei zu kriegen. Als ich von meiner nicht sehr erfolgreichen Einkaufstour zurückkomme, wird gerade zur Hardcore-Methode gegriffen. Thomas bohrt in unseren schönen Fussboden ein Loch, damit er so an das vertikal darunter liegende Problem, sprich das Ansaugrohr, ran kommt.Unterdessen mache ich mich mit dem Fahrrad auf nach Houdelaincourt. Von wegen ca. 2 km, ca. 8 km und dann nur noch steil den Hügel rauf... Kreuz und quer bin ich durch das Kaff gefahren, eine Kirche hat's, eine Spielwarenbörse (?) aber sonst, gar nichts. Kochen wir halt mit dem, was wir haben.Ich strample zurück nach Demange-aux-Eaux. Und siehe da, Thomas hat die Probleme gelöst und die „Escape" ist startklar. Es ist mittlerweile Mittag. Toby ist immer noch übel, mehrmals muss er sich noch übergeben, das arme Kerlchen.Herrchen ist auch schlecht drauf. Ich habe Verständnis dafür, dass man sich zwischendurch mal einen Tag ausruhen sollte. Die letzten Tage waren purer Stress und Ärger. Aber jetzt kommt noch dazu, dass ich als Fendermaus (eine meiner vielen Aufgaben hier an Bord) plötzlich nichts mehr richtig mache. Was vorher gut geklappt hat beim Anlegen und beim Schleusen und auch immer wieder gelobt wurde, nun wird alles in Frage gestellt. Da wird jeder Handgriff, der vorher automatisch ablief, Festmachen auf Kopfnicken oder Zeichen geben untereinander, in Frage gestellt. Kurz: die ganze Ruhe ist mit einem Mal dahin. Da fällt mir dann schon mal ein Tauende vor lauter Aufregung ins Wasser.Wir haben dieses Abenteuer als Ehepaar und gleichberechtigtes Team angetreten. Jeder übernimmt die Arbeiten, die er/sie am besten kann. Deshalb müssen wir wieder zur Ruhe kommen, wir dürfen uns nicht wegen solcher Vorkommnisse gegenseitig aufreiben.

Sonntag, 26.10.2014

Wir legen um 11.30 Uhr in Ligny-en-Barrois ab, nachdem der diensthabende Kontrolleur von VNF sich bei uns am Steg gemeldet hat. Er werde die ganze Fahrt begleiten, falls wir eine Panne hätten. Thomas versucht ihm zu erklären, dass wir nur Pannen haben, wenn ihr Kanal und die Schleusen völlig zugemüllt sind. Monsieur meint, dass es sich nicht lohnt, noch viel zu machen, denn in einigen Jahren werde der Kanal eh geschlossen. Die Mistgabel nimmt er gar nicht erst vom Autodach und steigt auch nur selten aus. Trotzdem, brav macht er alle 16 Schleusen bis Bar-le-Duc mit uns mit. Am Kai liegen schon zwei Schiffe längsseits, eines davon eine Péniche mit Kanadischer- und Schweizerflagge. Da kein Platz mehr für die „Escape" ist, belegen wir die Fingersteiger, aber alle drei quer! Kommt schon keiner mehr heute.Mit Toby musste ich schon in der vorletzten Schleuse dringend von Bord. Er zitterte am ganzen Leib und hatte jetzt auch noch Durchfall, nachdem er sich jetzt schon den zweiten Tag erbrach. In Bar-le-Duc wollte ich ihn wie gewohnt ausführen und dabei die Stadt erkunden. Aber schon eine Querstrasse vom Bahnhof entfernt, krümmte er seinen Rücken wieder, aber diesmal kam nur noch Blut. Ich so schnell es ging zurück, der Kai ist beim Bahnhof. Dort in der Nähe sah ich ein paar Frauen schwatzen, eine davon mit Hund. Ich hoffte, dass sie aus der Gegend sei und mir einen Tierarzt nennen könne. Die liebenswerte Hundehalterin nahm ihr Handy hervor, rief ihren Tierarzt an und dieser machte einen Termin in 30 Minuten mit uns. Ich hatte kein Handy und nichts zum Schreiben dabei und kenne mich in der Gegend nicht aus. Die einzige Möglichkeit, irgendwie zur Tierklinik zu gelangen, war ein Taxi (aber diese lehnen den Transport von Tieren meistens ab) oder das Fahrrad und Toby in den Einkaufskorb. Nun kam wieder unsere Retterin in der Not zum Einsatz. Ich solle mit Toby zum Schiff zurück. Sie gehe nach Hause, hole das Auto und bringe uns dann hin.Wie versprochen kam dann Madame Joëlle in ihrem weissen Kleinwagen angebraust, hupte, hielt an und brachte uns dann zur Tierklinik. Toby wurde dann vom netten Tierarzt eingehend untersucht und für krank befunden, da er offenbar etwas Schlechtes wenn nicht Giftiges gefressen hat. Er bekam erst mal eine Spritze, dann wir drei Packungen Medikamente zur Verabreichung und dann durften wir noch das Portemonnaie erleichtern. Aber wie war ich glücklich, an einem Sonntagnachmittag gleich auf diese Frau gestossen zu sein, die alles organisierte, sogar vor der Klinik wartete und uns zurückbrachte. Zum Schluss wollte sie unbedingt noch unsere E-Mail Adresse haben, damit sie sich über den Gesundheitszustand von unserem „TouTou" erkundigen könne. Die erste Mail war auch eine Stunde später schon da!

Tagebuch Woche 4

Montag, 27.10.2014

Ich verordne unserer Crew einen Ruhetag. Wir alle sind sehr müde und angespannt und Toby zudem krank. Er braucht jetzt viel Ruhe, regelmässig seine Medikamente und seine Diät Mahlzeiten, die ich ihm kochen muss, lassen sich auch nicht so auf die Schnelle hinkriegen. Er hat wenigstens gut geschlafen und den Brei aus gekochtem Reis, Karotten und Trutenfleisch, fein pürriert, mit Heisshunger verschlungen. Das Verabreichen der Medikamente ist da schon die grössere Herausforderung. Denkt man, diese Pille hat er geschluckt, schwupp, spuckt er sie doch in hohem Bogen wieder aus. Pillen für Hunde sollten nach Wurst schmecken!Nach anfänglichem Morgennebel scheint jetzt die Sonne und es ist gegen 16° C warm. Ich wasche mal wieder und putzen geht auch noch nebenher (von wegen Ruhetag). Toby schläft auf dem Achterdeck.Thomas ist zum Apéro beim Franco-Kanadier. Der ist z.Z. alleine, seine Frau, eine Schweizerin aus dem Kanton Fribourg, sollte heute oder morgen zurückkommen.Am Nachmittag gehen wir einkaufen. Es ist wie im Schlaraffenland: Salat, Gemüse, Früchte – alles was das Herz und die Crew begehrt!Toby geht es sichtlich besser, er spricht gut auf die Medikamente und den Baby-Brei an. Auf dem Spaziergang hat er aber schon wieder was im Maul, spuckt es aber sofort aus, als ich mit ihm schimpfe.

Dienstag, 28.10.2014

Gut ausgeruht und mit frischem Elan starten wir die Weiterfahrt. Wir haben uns für den heutigen Tag eine Etappe von 25 (!) Schleusen vorgenommen, damit wir diesen „Canal de la Misère" so schnell wie möglich hinter uns bringen. So starten wir um 9.15 h bei frischen 11° C, mit Hochnebel aber trocken.Nach der dritten Schleuse haben wir den Dreh endlich raus, wie wir ohne Stress das Handling mit der Selbstbedienungsstange schaffen, ohne einen Kratzer zu riskieren. Wurde auch Zeit! Es sind noch keine Meister vom Himmel gefallen und wir haben immer noch gut 150 Schleusen vor uns...In Schleuse nº 47 (Doeuil) machen wir kurz Halt, Toby's Tank muss geleert und der Filter prophylaktisch gereinigt werden. Der ist jedoch nur halb so voll wie die vergangenen Tage, dieser Kanalabschnitt ist wesentlich sauberer.Bei Schleuse nº 54 (Damzelle) müssen wir mal wieder den VNF avisieren, das Schleusentor öffnet nicht. Die Zeit wird genutzt, um Hundchen sein Medikament zu verabreichen. Schleuse nº 60 (Sermaize-les-Bains) scheint kein Boot mehr zu erwarten. Die Ampel zeigt kein Signal. Telefon an VNF (diese Nummer ist gespeichert!). Der Techniker kommt, sogar mit Mistgabel, damit er das Tor von Aesten und Schilf befreien kann.Um 17 Uhr haben wir unseren heutigen Marathon geschafft und legen in Pargny-sur-Saulx an. Mit Toby machen ich eine Runde dem Treidelpfad entlang und auf dem Rückweg gleich beim nahen Restaurant vorbei. Thomas hat beschlossen, dass wir heute auswärts essen gehen. Nur, das Restaurant hat von Montag bis Donnerstag nachmittags und abends geschlossen. So gibt es halt einen gemütlichen Abend auf der „Escape", Essensvorräte sind genügend da. Kurze Zeit später kommt der Hafenmeister vorbei und empfiehlt die Pizzeria im Dorf. So bleibt die Küche doch kalt.

Pargny-sur-Saulx Pargny-sur-Saulx 3
Treue Begleiter Spiegelung

Die Pizzeria entpuppt sich dann als Pizza-Lieferservice. Wir dürfen aber am Wartetresen Platz nehmen und da essen. Pizza à la Française, auf derjenigen von Thomas hat es Kartoffeln, statt Mozzarella wird Raclette-Käse verwendet. Weingläser gibt es auch nicht, eingeschenkt wird in Orangina-Gläser.

Mittwoch, 29.10.2014

Hier in Pargny-sur-Saulx haben wir erstmals in Frankreich ein geringes Liegegeld von € 7.00 bezahlt. Dafür ist der Anleger sehr gepflegt und Strom- und Wasserversorgung funktionieren auch ausserhalb der Saison.Um 10.30 Uhr verlassen wir diesen schönen Ort und machen uns auf die letzten Kilometer auf dem Canal de la Marne au Rhin. Heute erwarten uns lediglich noch sieben Schleusen. Die Fahrt seit Bar-le-Duc hat uns doch noch versöhnlich gestimmt mit diesem Kanal. Die Ufer sind über weite Strecken mit Platanen gesäumt, es hat viel Schilf und in breiteren Abschnitten wachsen Seerosen. Die Landschaft ist hier wieder flach und offen, Acker- und Weideland, grasende Viehherden. Wälder sieht man keine mehr, es erinnert uns etwas an Holland.In Schleuse nº 65 (Étrepy) wartet ein Grossaufgebot von Schleusenwärtern. Ein Lastschiff (Péniche) taucht jetzt dann gleich auf. Der nette VNF-Mann, der uns gestern eine Weile begleitet hat, ist auch dabei und bittet Thomas, vorsichtig zu sein. Der Skipper klärt ihn auf, dass wir von Holland her das Fahren zusammen mit Berufsschiffen gewohnt seien. Trotzdem fährt der Franzose die 100 m bis nach der Schleuse mit seinem Auto auf dem Treidelpfad nebenher um zu sehen, ob das mit dem Kreuzen dann auch wirklich problemlos klappt...Da wir es geschafft haben und die restlichen fünf Schleusen auch ohne Panne funktionieren (ein Glückstag!), legen wir um 13.45 Uhr in Vitry-le-François an. Der Port de Plaisance ist abgesperrt, wäre uns aber auch zu verschlammt gewesen. So legen wir halt aussen an. Den Poller muss ich zuerst von einer Unmenge Pilzen befreien, da hat offensichtlich schon länger keiner mehr festgemacht.Nach einem wohltuenden Mittagsschlaf, wir sind noch müde von gestern, machen wir uns gegen 16 Uhr auf für einen Stadtbummel. Als wir von Bord gehen, sehen wir am gegenüber liegenden Ufer Polizisten hin und her laufen. Dort liegt eine total verrostete Péniche mit extremer Schlagseite. Thomas bemerkte schon beim Einlaufen: die ist demnächst dem Untergang geweiht.Wir sind dann erst mal zum nahen Stadtzentrum aufgebrochen. Auf unserem Weg dahin kamen wir am schönen, wieder aufgebauten Hôtel de Ville vorbei. An dieses grenzt ein prächtiger Park mit Wasserbecken und Statuen. Besonders aufgefallen ist uns aber eine Ruine (Ueberreste aus dem 2. Weltkrieg). Die Front-Fassade des ehemaligen Institut des Garçons wird mit Streben und Balken gestützt und dient heute als Kulisse des Freiluft Theaters in diesem Park.Vitry-le-François war 1914 Kriegsschauplatz der ersten Stunde. In der Basilika Notre Dame (von den Deutschen anektiert) wurden, wie in vielen anderen Kirchen auch, Kriegsverletzte unterbracht. Auf einer Gedenktafel ist erwähnt, dass die deutschen Besatzer auch 50 verletzte französische Soldaten in dieses Lazarett gebracht haben. In den Ardennen und dem Département Marne finden dieser Tage überall Veranstaltungen im Gedenken an den 1. Weltkrieg von 1914-18 statt.

Eine Stadt mit neuen und alten Quartieren, hübsche Französinnen gibts es auch. Leider fehlen hier gute Anlegeplätze für Schiffe.

Vitry le Francois 2b Vitry le Francois

Zurück auf der „Escape" haben wir so etwas wie ein déja-vu, hatten wir doch im Frühjahr im Hafen von Zwartsluis schon mal ein U-Boot. Denn jetzt ist noch mehr Polizei vor Ort und auch die Feuerwehr ist eingetroffen. Mit starken Pumpen kämpfen sie gegen das drohende Unheil, sprich die eindringenden Wassermassen in der Rostlaube. Auf dem Dock stehen die Einsatzfahrzeuge mit Blaulicht, stundenlang, ein Bild wie Miami-Vice. Um 22.45 Uhr ist der Kampf gewonnen und die Truppe zieht ab – mit Blaulicht!

Donnerstag, 30.10.2014

Mit der Abfahrt um 9.15 Uhr in Vitry-le-François nehmen wir auch gleichzeitig einen neuen Kanal in Angriff. Der Canal entre Champagne et Bourgogne wird uns auf 224 Km und mit 114 Schleusen (davon 71 bergwärts und 43 talwärts) zur Saône führen. Wir werden die letzten ca. 150 Km auf Wasser fahren, das in den Atlantik mündet, danach fliessen die Gewässer in das Mittelmeer und da wollen wir auch hin.Am frühen Morgen hängt der Nebel über dem Wasser, aber ganz scheu zeigt sich schon blauer Himmel und eine blasse Sonne. Das verspricht ein schöner Tag zu werden.An der ersten Schleuse dieses Kanals nº 71 (Désert) bekommen wir wieder mal eine neue Fernbedienung ausgehändigt. Mit diesem Deluxe-Modell lässt sich nicht nur das Schleusentor öffnen, sondern auch der eigentliche Schleusungsvorgang starten. Somit entfallen die Turnübungen des Skippers an den Bedienungsstangen, nur ich klettere noch in jeder Schleuse auf's Dach, damit ich den Poller zum Festmachen erreiche.Wie der Volksmund sagt: wenn Affen klettern..., ja, wir haben inzwischen wieder T-Shirt-Wetter und das Ende Oktober! Der Kanal ist breit, das Wasser sauber und klar, wir sehen viele Fische darin schwimmen. Die Ufer auch hier mit Platanen und Eichen gesäumt. Rechterhand hat es immer wieder Teiche und Biotope und über unseren Köpfen fliegen grosse Schwärme von Schwänen in V-Formation.Nur die Schleusen sind sehr, sehr schlammig. Nach kurzer Zeit sehen die „Escape", das Tau und ich aus wie nach einer Fango-Kur. Schleuse nº 62 (Garenne) schliesst nicht hinter uns. Madame vom ehemaligen Wärterhäuschen will behilflich sein, aber auch das Schleusentelefon hat den Geist aufgegeben. Also Thomas wieder mal ans Handy, bekannte Nummer anrufen. Der VNF kommt und muss erstmal die elektrischen Tableaux wieder in Ordnung bringen. Madame trinkt inzwischen ihren Kaffee vor dem Haus und geniesst es sichtlich, dass sie einen Schwatz halten kann. Vielleicht kam die holländische Péniche (mit vielen Fietsen = Fahrräder), die wir am Morgen gekreuzt haben, noch problemlos durch.Vor Saint-Dizier, bei Hoëricourt, ist gleich neben dem Kanal ein grosser Militärflugplatz. Die französische Luftwaffe lässt ihre Raffals steigen und wir halten an, um einigen Starts zuzuschauen. Als ob wir in Vallamand nicht genug Fluglärm gehabt hätten!Um 16 Uhr legen wir vis-à-vis vom Centre Nautique in Saint-Dizier an. Die Lufwaffe fliegt bis spät in die Nacht und die grölenden und lärmenden Jugendlichen auf dem Parkplatz gleich neben dem Halte Fluvial (ohne jeden Service) sind der Ruhe auch nicht förderlich.

Eine schöne, lebendige Stadt, leider durch den Luftwaffenstützpunkt (mit Atomwaffenträger) während fast 24 Stunden sehr lärmig.
St Dizier Schleuse Vitry le Francois Wassersportzentrum

 

Freitag, 31.10.2014

Pünktlich um 9 Uhr starten wir heute, denn wir haben uns für 9.30 Uhr bei der Hubbrücke angemeldet. Diese muss uns vom VNF-Service geöffnet werden. Wir sind fünf Minuten vor der Zeit da, der Franzose kommt fünf Minuten zu spät. Für Franzosen ist das schon eine sehr präzise Zeiteinhaltung!Bei der nächsten Hubbrücke informieren wir unseren Begleiter, dass wir in Chevillon einen Halt machen werden. In der Bäckerei in Saint-Dizier wurde Thomas gesagt, dass es da die beste Käserei weit und breit gibt. Wir machen also fest, Thomas auf's Fahrrad und ab ins nahe Dorf, ich mit Toby dem Kanal entlang zur „Pipi"-Runde. Gleichzeitig kommen wir zurück zur „Escape". Thomas mit zwei Baguettes und einer Schachtel unter dem Arm. Die Käserei hatte leider schon geschlossen. Aber sicherheitshalber hat er nochmals Brot gekauft da morgen ein Feiertag ist und feines Gebäck. Wir haben ja auch nur noch 1 1/2 Baguettes an Bord. Mein Skipper isst wie ein Schwerarbeiter!Die heutige Fahrt ist wunderschön durch eine jetzt wieder hügelige Landschaft. Nur leider ist der Kanal auf diesem Abschnitt nicht mehr sauber wie gestern. Als Thomas in der zweitletzten Schleuse vor dem heutigen Etappenziel in den Maschinenraum verschwindet um den Filter zu reinigen, fragt mich ein Mann von oben runter: haben Sie ein Problem, soll ich den VNF anrufen? Ich erkläre ihm die Sache mit dem verstopften Filter und da fragt er besorgt: und Ihr Mann musste jetzt unter das Schiff tauchen?Wir kommen nur eine Schleuse weiter. Diese ist so verschlammt und verschmutzt, dass sogar das Bugstrahlruder anfängt zu Husten. Zum Glück sind es nur noch wenige 100 m bis nach Joinville, wo wir um 15.45 Uhr anlegen.Hier bleiben wir nun bis Sonntag früh, denn morgen ist Allerheiligen und da geht gar nichts (keine Schleusen, keine Hubbrücken). Auf dem Parking gleich nebenan hat es auch hier wieder Wohnmobile, zwei davon aus Holland. Einer der Holländer kommt gleich zu uns und meint: ich hab's gleich gesagt, das ist keine französische Yacht! Das können wir ihm bestätigen und er freut sich, unsere schöne holländische Valk Cruiser hier zu sehen.Ueberhaupt, wo wir hinkommen, hören wir immer wieder: Quel beau bâteau! Das haben wir uns vor einem Jahr auch gedacht, als wir die „Escape" das erste Mal gesehen haben. Das war Liebe auf der ersten Blick!

Samstag, 1.11.2014

In Joinville und an Allerheiligen läuft also nichts, auf dem Wasser wenigstens. In der Renault-Garage nebenan wird gearbeitet und Lidl hat auch auf... Wir machen halt gezwungenermassen einen Ruhetag. Der Anleger ist hier sehr schön und gepflegt. Infrastruktur wäre vorhanden, topmodern. Aber € 2.00 für 55 Minuten Strom und der gleiche Preis für 10 Minuten Wasser (und der Anschluss mit keinem Schlauch kompatibel), scheint uns doch arg viel. Strom produzieren wir mit unserem Diesel-Generator günstiger und Wasser tanken wir halt mal bei einer Schleuse.Bei diesem Traumwetter müssen wir unbedingt die Umgebung erkunden. So machen wir uns nach dem Mittag auf durchs Städtchen und erklimmen den Hügel, immer dem steilen Gässchen mit dem Wegweiser „Château 30 mn" folgend. Oben angelangt, sind wir dann nicht bei besagtem Schloss, sondern den Ueberresten der alten Befestigungsmauern. Offensichtlich haben wir eine Abzweigung verpasst... Nicht verpasst haben wir dafür die tolle Aussicht auf die zum Teil noch intakte Renaissance Stadt, die Kirche Notre Dame aus dem 12./13. Jahrhundert, die Marne und den Kanal, die hügelige Landschaft und zu guter Letzt auch auf das Château des Jardins. Das ist auch von oben schön anzusehen. Toby, wieder vollständig genesen, kann da oben nach herzenslust rennen und rumschnüffeln. Thomas und ich geniessen derweil die warmen Sonnenstrahlen (20° C am 1. November!) auf der Mauer sitzend.Nach dem Abstieg und einem Bummel durch die engen Gassen der Altstadt kehren wir im Restaurant „Salle XIV" ein und gönnen uns ein Déssert. Wir studieren die Karte und finden da: Fondue Miel!? Auf die Frage an die Bedienung erklärt uns diese, das sei eine Spezialität der Haute-Marne, eben Käse-Fondue mit ein wenig Honig aromatisiert. Reisen bildet! Doch wir lassen uns lieber herrliche Crèpes und Espresso servieren.

Joinville in der Haute Marne (Wochenende Allerheiligen)
 Joinville Haute Marne weites Land Joinville von oben 
 Joinville Kathedrale  Joinville Seitenkanal
 Joinville Schweizer Menue etwas anders  Joinville Neue Anleger

 

Sonntag, 2.11.2014

Der Wetterbericht ist gut, nur das Wetter hält sich nicht daran. Als wir um 9.00 Uhr starten wollen, regnet es aus den dunklen Wolken über uns. Wir legen eine viertel Stunde später ab und sind gespannt, was die heutige Fahrt für Ueberraschungen bereit hält. Der Kanal ist rund um Joinville komplett mit Algen zugewachsen. Auf unserem gestrigen Ausflug haben wir gesehen, dass die Mitte des Fahrwassers noch am wenigsten zugewachsen ist. Kurz nach der Weiterfahrt hellt sich der Himmel wieder auf. Wir fahren auf eine alte Steinbrücke zu, deren halbrunder Bogen sich im Gegenlicht und die Spiegelung im Wasser zu einem Kreis schliesst. Ein Bild für die perfekte Fotografie, aber der Fotoapparat ist noch unten... Doch solche schönen Augenblicke bleiben in unseren Erinnerungen haften.Heute begleitet uns die ersten sechs von zwölf Schleusen ein junger VNF-Mitarbeiter, der noch weiss, wozu man eine Mistgabel verwenden kann. Unermüdlich säubert er die Schleusen und so kommen wir störungsfrei vorwärts. Nach der Hälfte der Strecke löst ihn ein Kollege ab, ebenso beflissen.In der Schleuse nº 33 (Grandvaux) teilt er uns mit, dass er in Viéville, unserem heutigen Ziel, noch die Brücke öffnen müsse. Er bittet aber um etwas Geduld, zuerst müsse er die Leute wegscheuchen, denn „c'est la foire à Viéville!" Als wir uns um 14.45 Uhr der Brücke nähern, steht unser treuer Begleiter wie ein Gendarme auf der Brücke und sorgt für Ordnung, damit er sie für uns öffnen kann. Wir legen am gleich folgenden Anlegeplatz an (zwischen zwei Booten, hinter und vor uns je 50 cm, der Skipper hat's im Griff!). Und zu unserer grossen Freude gibt es hier Strom und Wasser. Nach der Katzenwäsche mit kaltem Wasser heute Morgen, der Boiler war leer, freuen wir uns nun auf eine warme Dusche.Von wegen mit kaltem Wasser waschen: ich wundere mich immer wieder, woran ich mich mit meinen 59 Jahren noch gewöhnen muss und kann. Aber der Lohn dafür sind die unglaublich eindrücklichen Landschaften, Orte und die vielen netten Begegnungen mit Menschen auf unserer Reise.Mit Toby mache ich einen Spaziergang den Kanal entlang und staune, dass alles bis auf den letzten Feldweg mit Autos zugeparkt ist. Offenbar geniessen es die Leute hier, dass etwas los ist in Viéville. Was für eine Ausstellung bzw. Messe das ist, entzieht sich unserer Kenntnis. Thomas hält derweil ein wohlverdientes Nickerchen. Wie er das schafft ist mir allerdings ein Rätsel. Vom Rummelplatz am gegenüberliegenden Kanalufer dröhnt ohrenbetäubende Musik/Lärm (bum-bum-style). Toby ist ganz verstört. Ich auch.

Tagebuch Woche 5

Montag, 3.11.2014

Es gab dann trotzdem noch eine ruhige Nacht, um 20.30 Uhr war Ruhe auf dem Rummelplatz. Die ganze Nacht hat es kräftig geregnet. Bis jetzt wurden wir vom Wetter mehr als verwöhnt. Der ganze Oktober war ausserordentlich trocken und sehr warm. Einen Tag hat es geregnet, einmal hatten wir zwischendurch kurze Regenschauer.Zum Frühstück gibt es Baguette – vom Freitag! Welcher Franzose würde sich so etwas antun? Doch wir haben eine gute Kaumuskulatur und Thomas will unbedingt wieder einmal den Halt seiner neuen Zahn­implantate prüfen.Bei diesem Wetter empfiehlt es sich, alles genau auf perfekte Funktion zu prüfen. Obwohl wir die Startzeit beim VNF auf 9 Uhr angemeldet haben, stellt der Skipper den Motor nach dem Warmlaufen nochmals ab und geht den Filter des Kühlsystems leeren. Es war tatsächlich noch „choucroute" im Ansaugrohr der Wasserkühlung drin. Eine halbe Stunde später legen wir ab. Mit dem Schuhlöffel sind wir gestern in die Lücke rein, mit einer Achterspring legen wir perfekt ab.Vor der Schleuse nº 27 (Brethenay) kreuzt uns die Péniche „Shiva" aus Rotterdam. Es ist immer ein Ereignis, andere Boote zu treffen. Einerseits, weil die Saison schon vorbei ist, andererseits wird dieser Kanal sehr wenig befahren. Sehr schade, denn der Canale entre Champagne et Bourgogne ist etwas vom Schönsten, was wir die letzten acht Monate gesehen haben.Dank den Holländern können wir gleich in die nun abgeschleuste und offen stehende nächste Schleuse einfahren. Aber ab Schleuse nº 26 (Condes) geht gar nichts mehr. Unsere Fernbedienung hat offensichtlich den Geist aufgegeben. So muss halt wieder mal VNF bestellt werden. Der Techniker hat leider kein Ersatz­gerät dabei und muss uns so die verbleibende Strecke bis Chaumont begleiten.In Chaumont legen wir um 13.45 Uhr an. Wasser und Strom sind seit dem 1.11. abgestellt (knapp verpasst).

Dienstag, 4.11.2014

Es regnet in Strömen, aber wir müssen weiter. Thomas musste um 03.15 Uhr mit unserem Vierbeiner von Bord, weil sich dieser gestern Abend standhaft geweigert hatte, im heftigen Regen sein „Geschäft" zu machen...Um 9.15 Uhr verlassen wir Chaumont in Regenkleidung und Gummistiefeln. Toby liegt auf dem Sofa im geheizten Salon. Das einzige, was die Stimmung heute aufheitern kann, ist das breite Grinsen und die kurzen Gespräche mit dem aufgestellten Schleusenwärter, der uns von Schleuse nº 22 (Chamarandes) bis nº 16 (Boichaulle) begleitet. Die Schleusen auf diesem Abschnitt müssen wieder von Hand gekurbelt werden (wie schon früher beschrieben).Ich verziehe mich mal nach unten, an die Wärme, und mache heissen Tee und Kaffee. Genau in diesem Moment kommt ein Anruf aus Holland. Unser Freund Anco erkundigt sich nach dem Befinden. Die Freude ist gegenseitig gross sich zu hören und wir freuen uns schon heute auf ein Wiedersehen im nächsten Frühjahr!Sonst kann heute von „geniessen" keine Rede sein. Die Marne, die über weite Strecken parallel zum Kanal verläuft, ist wegen der starken Regenfälle vielerorts über die Ufer getreten und hat Wiesen und Ackerland überschwemmt. Kaum zu glauben, dass wir vor zwei Tagen noch im T-shirt an der Sonne sassen.Nach 11 Schleusen (von geplanten 17) braucht Thomas trockene Kleidung und Schuhe. Ich sitze mit Toby an der Wärme.Die Ablösung unseres fröhlichen VNF-Begleiters ist eine Madame, die ein Gesicht macht wie sieben Tage Regenwetter. Bei Schleuse nº 15 (Pré-Roche) steigt sie in ihr trockenes Auto und will schon davon fahren bevor sie die Tore zur Ausfahrt auf gekurbelt hat. „Mais non, Madame!" Dann enteilt sie uns aber vergebens, denn kaum haben wir die Schleuse verlassen, setzt unser Motor aus... Der Skipper runter in den Maschinenraum, ich halte die „Escape" solange es geht mit dem Bugstrahlruder gerade auf Kurs. Dann treiben wir langsam steuerbord ans Ufer. Telefon an VNF und Rob, Kranerweerd in Holland. Der innere Kühlkreislauf scheint überhitzt und neben der Einspritzpumpe ist Diesel rausgespritzt. Thomas konsultiert das DAF-Motoren-Handbuch im PC. Vorsorglich demontiert er schon mal den Grauwassertank, damit alle Aggregate leicht zugänglich sind. Eine mühselige Arbeit im Maschinenraum, der halt nicht so viel Platz bietet. Gottlob ist der Skipper schlank und rank und kann sich wie ein Schlangenmensch überall rein zwängen.Hoffentlich schickt uns VNF bald einen Mechaniker, bisher ist lediglich unsere Schleusenwärterin aufgetaucht. Nach einer weiteren halben Stunde fahren zwei Autos auf dem Treidelpfad neben der „Escape" vor. Einer ist offenbar der VNF-Einsatzchef, der uns den heiss ersehnte Fachmann mitgeführt hatte. Ein kompetenter, ruhiger Mann, wie sich zeigt. Er geht Schritt für Schritt nach dem Ausschlussprinzip vor (der Skipper hat auch schon Vorarbeit geleistet). Schlussendlich ist der Übeltäter gefunden: der Diesel-Feinfilter ist völlig verschmutzt, wurde aber beim letzten Service ersetzt. Thomas hat den Ersatzfilter schon zur Hand und nach dem Austausch und anschliessendem Entlüften des gesamten Einspritzsystems brummelt unser DAF im Motorenraum wieder gutmütig vor sich hin. Drei Stunden hat uns diese Panne gekostet. Einmal mehr zeigt sich, dass nicht richtig fertig gedachte Technik uns im Stich gelassen hat. Denn der Dieselfilter ist eine Fehlkonstruktion und wird bald ersetzt werden müssen. Uns schauert beim Gedanken, dass uns dies auch auf der stark befahrenen Rhône, mit intensivem Strom und Berufsverkehr, hätte passieren können.

Wir müssen aber noch weiter, die nächsten fünf Schleusen müssen noch geschafft werden, vorher können wir nirgends festmachen.Mittlerweile ist es 16.15 Uhr und Madame Schleusenwärterin ist nicht sehr glücklich. In Frankreich ist Mann/Frau gerne nach 16 Uhr dienstfrei. Dann strapaziere ich ihre Geduld noch, weil Toby dringend mal muss und ich in der nächsten Schleuse kurz mit ihm von Bord gehe (5 Minuten).Inzwischen ist es dunkel geworden. Die „Escape" wird hell beleuchtet und mithilfe unseres starken Scheinwerfers legen wir um 18.15 Uhr in Rolampont an. Uff, geschafft. Thomas spürt vor Kälte und Nässe seine Hände und Füsse kaum mehr. Ausharren und Durchhalten ist ohnehin seine Stärke. Wer aber denkt, das ist das Ende dieses ungemütlichen Tages... Murphy schlägt unerbittlich zu! Unser Toby, wieder mal ungeduldig, will an Land springen und verschätzt sich im Dunkeln. Also zum Nachtisch eines schon recht mühsamen Tages noch eine Hunde-Rettungs-Aktion. Das war übrigens sein fünfter Taucher in genau einem Jahr. Wir hoffen weiter, dass er gescheiter wird.Zur Stärkung koche ich uns heute ein deftiges heimatliches Abendessen: Papet Vaudois mit feiner Saucisse de Morteau aus der Dorfmetzgerei in Chaumont.

Mittwoch, 5.11.2014

Dank dem noch funktionierenden Landstrom und unserem genialen Entfeuchtungsgerät sind Crew (inkl. Hund), Kleidung und das Innere der „Escape" über Nacht wieder trocken geworden. Mindestens 10 Liter Kondensat haben wir so absorbieren können.Heute haben wir uns für 9.30 Uhr angemeldet, aber schon kurz vor 9 Uhr steht ein Angestellter des VNF an der Reling und fragt, ob wir gleich losfahren werden?! Thomas ist noch mit dem Fahrrad unterwegs, um frische Baguette einzukaufen und Wasser tanken müssen wir auch noch, dazu muss das Boot aber noch um 180° gedreht werden, da sonst der Schlauch zu kurz ist. Ich vertröste also den Mann auf 9.45 Uhr, später gehe nicht, sagt er, es folge noch ein Berufsfahrer (der dann allerdings erst am späten Nachmittag unseren Kurs kreuzt, als wir schon längst am nächsten Anleger festgemacht haben).Unsere heutige Etappe ist kurz, bis Langres, nur sieben Schleusen. Wir müssen da einen Zwischenstopp einschalten, weil wir von gestern noch zu müde sind, um die anschliessenden zwei letzten Schleusen bergwärts, den folgenden 5 km langen Tunnel de Balesmes und gleich darauf die Schleusentreppe (8 aufeinander folgende) talwärts noch zu bewältigen.Ab diesem Zeitpunkt geht es nur noch abwärts mit uns!Wir werden begleitet von zwei Damen, jüngeren, wie Thomas mir nach unten verkündet. Ich bin noch mit dem Abwasch des Frühstückgeschirrs beschäftigt. Als ich die Beiden dann in Schleuse nº 8 (Saint-Menge) zu Gesicht bekomme, muss ich schmunzeln. Die Ältere ist mindestens in meinem Alter, die Jüngere ein paar Jährchen darunter! Doch es geht flink vorwärts, da sich die zwei netten Schleusenwärterinnen je eine Seite zum Kurbeln vornehmen können. In Schleuse nº 7 (Chanoy) erhalten die zwei Damen vom pensionierten Schleusenwärter, der das kleine Häuschen noch bewohnt, zur Stärkung Kaffee und Kuchen. Die ganze bisherige Fahrt durch Frankreich haben wir immer wieder bedauert, wie viel vom einstigen Charme der Kanäle verloren gegangen ist durch die Aufhebung der bedienten Schleusen. In früheren Erlebnisberichten ist immer wieder die Rede von netten Gesprächen mit den Schleusenwärtern, aber auch von Einkaufsmöglichkeiten wie Brot, Gemüse und Früchten aus eigenem Anbau, Eier etc., die sie angeboten haben.Nach nur zwei Stunden Fahrt erreichen wir um 11.45 Uhr trocken, aber bei kühlen 9° C Langres. Wir machen eine ausgiebige Pause, schlafen, hören Musik. Auf meinem Nachmittagsspaziergang mit Toby treffe ich ein Paar auf dem Treidelpfad. Stolz zeigen sie mir Ihre Beute: 5 oder 6 grosse Pilze. Auf meine Frage, ob die gut sind, sagt er, mais oui, ce sont des Rosettes. Noch nie gesehen oder gehört. Aber sie riechen sehr gut. Er zeigt mir die Unterseite des hellen Pilzes, der Lamellen in dunklem rosé hat. Ich solle gut die Augen offen halten, sie hätten diese am Wegrand dem Kanal entlang gefunden und es seien ausserordentlich grosse Exemplare. Dieses Risiko wäre mir als Nichtkennerin aber dann doch zu gross, lieber kaufe ich mal welche auf einem Markt.Gegen Abend fährt Thomas mit dem Velo einkaufen. Die nächsten Tage werden wir dazu kaum mehr Gelegenheit haben. Es ist sehr kühl geworden und Handschuhe sind zum Fahrrad fahren jetzt angezeigt. Mit vollem Einkaufskorb und tropfender Nase kommt der Skipper zurück auf die „Escape". Echtes November-wetter!

Donnerstag, 6.11.2014

Diese Nacht hat es mich das erste Mal gefröstelt im Bett. Ein Blick auf das Thermometer beim Aufstehen um 8 Uhr zeigt warum: 0° C aussen, 8° C innen! Sofort die Heizung einschalten, die war ausgeschaltet, weil ich wegen des Ventilators schlecht einschlafen kann...Auf dem Oberdeck trinke ich jeweils meinen ersten Kaffee und geniesse die Morgenstimmung, ausser es regnet. Wie ich heute die Treppe hochsteige und raus will – schwupps – die halbe Tasse Kaffee fliegt in hohem Bogen über das Teakdeck. Das ganze Boot ist mit einer dünnen Eisschicht überzogen und ich bin natürlich ausgerutscht.Um 9.30 Uhr starten wir bei immer noch 0° C, Nebel über dem Wasser, Sicht 80-100 m. Darüber zeigt sich durch die dünner werdende Nebelschicht bereits die Sonne. Die letzten beiden Schleusen bergwärts, dann geht's in den Tunnel de Balesmes (4.8 Km lang). Mit Toby bleibe ich unten im Salon, diesen hell beleuchtet. Anfänglich zittert er, denn Tunnels sind ihm unheimlich. Ich kraule ihm das Fell und rede beruhigend auf ihn ein. Nach einer Weile beruhigt er sich, legt seinen Kopf auf meinen Arm und übersteht die restliche Fahrt ganz ruhig. Thomas hat sich nach dieser anstrengenden Fahrt (da ist volle Konzentration gefragt) eine Tasse seines heissgeliebten Blokzijl-Tees verdient.Jetzt wartet die Schleusentreppe zur Saône hinunter auf uns. Im Abstand von wenigen hundert Metern folgen acht Schleusen aufeinander. Vor der ersten werden wir per Funk angewiesen zu warten, da ein Berufsfahrer am Manövrieren sei. Gleichzeitig erhalten wir die erfreuliche Mitteilung, dass uns ab Schleuse 4 (talwärts) die Sonne erwartet! Ich hole schon mal die Sonnenbrillen rauf, der Himmel hellt tatsächlich immer mehr auf. Die Temperatur zeigt jetzt 8° C.Bei der Einfahrt in Schleuse nº 5 zeigt mir Thomas, worauf man genau achten muss. Dann ein Pfeifen, die rote Lampe brennt, der Motor ist wieder aus! Die „Escape" läuft in langsamer Fahrt, aber manövrierunfähig bis auf das Bugstrahlruder, in die Schleusenkammer ein. Thomas steuert noch back- und steuerbord, rennt dann nach vorn und stemmt sich gegen die Bedienungsstangen, während ich weiter versuche, sie mit den Fendern zu bremsen. Trotzdem läuft sie noch, wenn auch mit geringer Geschwindigkeit, in den Steg über dem Schleusentor. Unsere Nerven liegen blank, der zweite Motorenaussetzer innert 48 Stunden...Thomas verschwindet (mit blutenden Händen vom Bremsen) im Maschinenraum. Dann müssen wir VNF avisieren, wir blockieren ja Schleuse nº 5. Im Moment sei das kein Problem, wird uns gesagt, es komme noch ein Berufsfahrer, aber der sei noch weit weg.Der Skipper kann's nicht richten und fordert professionelle Hilfe an. Damit die Schleuse deblockiert ist, beschliessen wir, die „Escape" manuell aus der Schleusenkammer zu ziehen. Thomas lotet mit dem Bootshaken die Tiefe des Ufers aus. Backbord, an der Spundwand, besteht die Möglichkeit zum Festmachen. So ziehen wir, beide auf einer Uferseite, unser 25 t schweres Boot sanft nach hinten raus und machen mit zwei grossen Stahlheringen fest.Nach langer, langer Wartezeit fährt ein Lieferwagen längsseits. Der Mechaniker findet raus, dass es diesmal die Kraftstoffförderpumpe erwischt hat. Erkennen des Problems ist gut, beschaffen von Ersatzteilen besser. Als die Nacht hereinbricht gehen wir davon aus, dass es mindestens morgen wird...Kurz vor 18 Uhr passiert dann „Yannick", das angekündigte Frachtschiff, Schleuse nº 5. Per Funk wird er informiert, dass wir wegen Motorschaden vor der engen Einfahrt liegen, er aber vorsichtig vorbei fahren könne. Der freundliche Skipper der „Yannick" erkundigt sich sogar bei Thomas ob er helfen könne. Doch das benötigte Teil hat er natürlich auf nicht. Trotzdem gut gemeint!Am Abend wird dann die „Hausapotheke" geöffnet. Für spezielle Gelegenheiten hatten wir anlässlich unserer Party in Zwartsluis von Gerard Laarman eine Flasche Dimple erhalten. Und heute brauchen wir dringend Medizin!

Freitag, 7.11.2014

Toby's bellen neben dem Bett weckt mich. Es ist kurz vor 8 Uhr. Thomas ist schon auf und sucht im Internet nach einem Lieferanten der dringend benötigten Dieselpumpe. Fürsorglich hat er die Tür zum Schlafzimmer geschlossen, damit er mich nicht stört. Das aber mag unser Hund gar nicht. So stehe ich halt auf. Draussen ist es neblig. Minuten später schaltet die Ampel „unserer" Schleuse nº 5 auf grün. Schau, der Radar hat uns erkannt und gibt uns freie Einfahrt, witzelt der Skipper. Dann verschwindet er auf das „stille Örtchen" zu seiner morgendlichen Sitzung. Von wegen uns erkannt! Plötzlich kommt Bewegung in die „Escape", sie tanzt hin und her, immer heftiger. Ich renne auf's Oberdeck und kontrolliere Taue und Heringe. In diesem Moment reisst sich der Bug los, der Hering hat den Halt im durchnässten Boden verloren. Ich wieder runter, Bugstrahlruder einschalten und den Bug wieder gegen die Spundwand treiben. Inzwischen ist auch Thomas wieder aufgetaucht und springt mit dem Hammer bewaffnet an Land. Mit ein paar Hammerschlägen treibt er den lose gewordenen Hering wieder in den nassen Boden und die Landverbindung ist wieder hergestellt. Aus dem Nebel taucht eine Frachtpéniche auf und fährt mit ca. 2 m Abstand neben uns in Schleuse nº 5 ein. Nun ist uns klar, dass das Entleeren der Kammer von Schleuse nº 4, 400 m entfernt, das sonst ruhige Wasser aufgewirbelt hat.Nachdem der Puls sich wieder beruhigt hat, ziehe ich mit Toby los. Auf dem Chemin de Service treffe ich eine VNF-Mitarbeiterin. Ich erzähle ihr, was passiert ist und sie kündigt für den heutigen Tag noch zwei weitere Frachter an. Das kann ja heiter werden!Um 10.15 Uhr schaukelt die „Escape" plötzlich wieder. Wir sind nun gewarnt und sofort oben, bzw. Thomas mit Hammer an Land. Er haut mit 2-3 Schlägen die Heringe bis zum Anschlag in den Boden, prüft den Halt. Zudem haben wir ein weiteres Tau vom Bug bei der Schleuseneinfahrt an einer grossen Schraube befestigt. Das entlastet nun zusätzlich den Zug auf die beiden bestehenden Landverbindungen. Diese Passage der folgenden Péniche erfolgt problemlos.Einen Lieferanten für Ersatzteile hat Thomas mittlerweile auch gefunden. Auf Anruf verspricht er, die Teile heute noch zu liefern. Wir warten.Wir warten immer noch. Seit nunmehr 27 Stunden sitzen bzw. liegen wir fest. Eine telefonische Rückfrage beim Ersatzteillieferanten hat ergeben, dass er unseren Mechaniker beliefert und dieser dann zur „Escape" kommt. Zweite Hälfte Nachmittag, es ist nun 15 Uhr. Nach unserer Zeitrechnung wäre das in etwa jetzt und in Anbetracht der Arbeitszeiten in Frankreich... zudem steht das Wochenende vor der Tür.Es ist nass, kalt und es weht ein kalter Wind. Mit Toby habe ich die folgenden Schleusen bereits mal abmarschiert und mir dabei fast die Finger abgefroren.Um 15.30 Uhr beginnen wir wieder zu tanzen. Die obere Schleuse entleert sich und die für heute letzte Péniche kommt. Ganz sachte gleitet die „Taupe Després" an uns vorbei um keine weiteren Turbulenzen durch Schraubenwasser zu verursachen.Wir warten immer noch. Gegen 17 Uhr telefonische Rückfrage beim Lieferanten. Die Ersatzteile wurden geliefert, aber offenbar sind sie verschollen!? Ein paar Telefonate und Abklärungen später verspricht uns der Mechaniker, die Teile bis morgen Vormittag zu holen und bei uns einzubauen. Wäre toll, denn nachher ist Sonntag, dann Montag (= Brückentag), gefolgt von Dienstag (= Feiertag / Gedenktag 1918) und an diesen drei Tagen geht gar nix.Wir warten weiter...

Samstag, 8.11.2014

Ich habe wieder Alpträume gehabt, leide wegen des Nebels und der abgeschiedenen Lage unseres unfreiwilligen Anlegers an Klaustrophobie und meine Mama liegt im Sterben. Alles zu viel für mich. Heute früh bin ich psychisch und physisch angeschlagen, einem Nervenzusammenbruch nahe. Thomas unterstützt mich, so gut er kann. Wir sprechen über alle anstehenden Probleme. Ich bin so dankbar, diesen Mann an meiner Seite zu haben.Wir liegen nun bald 48 Stunden mit Motorenpanne vor dieser Schleuse nº 5. Diese wird wohl die Schleuse sein, an die ich mich von all den gut 300 zu befahrenden auf unserer langen Reise nach Südfrankreich am meisten erinnern werde.Die Zeit zerrinnt und endlich um 11.30 Uhr fährt der sehnlichst erwartete Lieferwagen vor. Der Chef der Garage Couturier Sarl, matériels agricoles, Saint-Michel, kommt persönlich mit den Ersatzteilen und beginnt mit dem Einbau. Dann dauert es noch seine Zeit, bis der Motor bzw. dessen Zuleitungen entlüftet sind. Für mich, mangels technischer Kenntnisse, eine Ewigkeit. Jeder Versuch, der den Motor nicht zum Laufen bringt, macht mir Sorgen.Doch der Mann weiss, was er macht und endlich läuft das Herz der „Escape" wieder. Er, als Fachmann, ist nicht erstaunt, dass die Pumpe ausgestiegen ist. Alle 5'000 Motoren-Stunden müsse diese gewechselt werden. Dieses Ablaufdatum hat die unsere erreicht. Hätte man uns vor der Abfahrt auf diese Problematik hingewiesen, wäre uns einiges erspart geblieben. Wir erwarten von einer Werft, die sich mit vier Sternen schmückt, die Lebensdauer von wichtigen Systemkomponenten wie Dieselförderpumpe, richtig dimensioniertem Dieselfilter etc. vorausschauend zu erkennen und die Eigner darauf hinzuweisen. In vier Pannen in diesem Jahr hatten wir immenses Glück, keinen grösseren Schaden an Schiff und Besatzung erlitten zu haben!

es ist eng 0 es ist eng 1
es ist eng 2 Ecluse No 5

Wenige Minuten bevor wir um 13.30 Uhr ablegen können, fährt ein holländisches Frachtschiff neben uns in die Schleuse ein. Der Holländer ist schwer beladen und kann bzw. darf nicht schneller als 4 km/h fahren. So wird er uns unabsichtlich zum Bremsklotz, denn der Kanal ist zum Überholen zu schmal und so kommen wir nicht so weit, wie wir gerne möchten. VNF erlaubt uns die Fahrt bis 19.00 Uhr, aber sobald die Nacht hereinbricht gegen 17.30 Uhr, fürchte ich mich (der Skipper würde mit Scheinwerfer weiterfahren). Leider erlauben sie uns nicht, morgen eine Stunde früher, d.h. um 8 Uhr zu fahren. Ordnung muss schon sein. Auch in Frankreich.Trotz der späten Abfahrtszeit und dem Schleichgang schaffen wir noch 11 Schleusen und legen um 17 Uhr am Halte pique-nique in Dommarien, gleich nach Schleuse nº 15 an.Da wir praktisch kein Brot mehr an Bord haben, mache ich mich mit Toby auf ins nahe Dorf. Über eine mittelalterliche Brücke gelange ich in eine ebenso anmutende Ortschaft. Ich habe die Hoffnung beinahe aufgegeben, hier eine Menschenseele anzutreffen. Da sehe ich einen alten Mann, der vor seinem Haus aufräumt. Als er mich kommen sieht, verschwindet er. Pech gehabt. Ich wollte ihn nach einer Bäckerei fragen. Er kommt wieder hervor, ich grüsse ihn, da sagt er: c'est votre chien là? und zeigt auf Toby (ich führe Hundchen übrigens an der Leine!). Ja, der gehört zu mir, sage ich. So ist das Eis gebrochen. Fremde sind hier um diese Jahreszeit wohl etwas suspekt. Er streichelt Toby und ich kann ihn endlich nach der Bäckerei fragen. Oh, Bäckerei gibt's keine mehr, überhaupt keine Geschäfte. Aber der Bäcker von-weiss-nicht-woher kommt eigentlich jeden Tag ins Dorf. Morgen Sonntag zum Beispiel um 10.30 Uhr. Leider zu spät für uns, wir müssen weiter.Im Vorratsschrank finde ich dann eine Backmischung für Butterzopf (für Nicht-Schweizer: geflochtenes Weissmehlbrot mit Milch und viel Butter). Das Verfalldatum ist zwar abgelaufen, aber das Resultat befriedigend. Also, das morgige Frühstück ist gerettet!

Sonntag, 9.11.2014

Frisch gestärkt mit Tee, Butterzopf, Käse und Honig legen wir kurz nach 9 Uhr ab. Obwohl wir gestern schon über die Abfahrtszeit mit VNF diskutiert hatten, sind wir noch nicht in deren Radarprogramm erfasst. So einfach geht das dann offenbar doch nicht. Also rufe ich an und bitte um Öffnung der ersten Schleuse. Wie weit fahren Sie heute? fragt die Dame. So weit wir kommen bis ca. 17 Uhr, lautet meine Antwort. Wie soll ich jetzt schon wissen, wo das Ziel ist? Die Erfahrung hat uns gelehrt, mit Planung vorsichtig zu sein. Unsere grosse Hoffnung ist natürlich, dass der langsame Holländer gestern Abend noch bis Betriebsschluss gefahren ist. Dann hat er jetzt einigen Vorsprung und wir laufen nicht gleich wieder auf ihn auf. Bis Schleuse nº 22 (Cusey) ist Selbstbedienung, ab nº 23 (Bec) wieder Fernbedienung per Radar. Zwischen diesen beiden Schleusen kommt uns ein Frachtschiff entgegen. Es ist wirklich eng hier zum kreuzen mit den „Dicken" und Thomas weicht ganz ans Ufer aus. Herabhängende Äste streifen die „Escape" und lassen ihr welkes Laub fallen.Es ist kühl und regnerisch. Obwohl es mir heute wieder besser geht, darf ich im warmen Salon bleiben, lesen und Toby Gesellschaft leisten. Der Skipper macht alle Schleusenmanöver alleine und kommt zwischendurch nach unten, um vom Innensteuerstand aus zu steuern und um sich wieder etwas aufzuwärmen.Schleuse nº 24 (Courchamp) heisst uns gleichzeitig willkommen im Département Côté d'Or. Mérci bien! Ab dem Mittag regnet es ohne Unterlass. Der Kanal ist schmutzig braun und randvoll. Die Fensterscheiben beschlagen sich mit Kondenswasser und ein sicheres Steuern von innen ist nicht mehr gewährt. Der arme Skipper muss wieder nach draussen. Wir haben uns noch sechs weitere Schleusen bis nº 33 (Licey) vorgenommen. Und schon in Schleuse nº 28 (Pouilly) ist wieder unser Holländer... Jetzt wissen wir auch, warum der Kanal so schmutzig ist. Er wirbelt das Wasser mit seiner Schraube auf. Die nächste Schleuse hinterlässt er uns „en panne. Zeit für Thomas, wieder mal den völlig verstopften Kühlwasserfilter zu reinigen. Dabei fällt ihm die Taschenlampe runter. Die darf ich dann dank meinen kleinen Händen und dünnen Armen aus dem engen Maschinenraum grabschen...Dafür haben wir dem Berufsfahrer wieder etwas Vorsprung eingeräumt und schliessen erst kurz vor der für heute letzten Schleuse wieder auf. Wie froh sind wir, dass gute 2 km Kanal abwärts das heutige Etappenziel erreicht ist. Um 17.15 Uhr liegen wir nach einer nassen, kalten und langen Fahrt in Dampierre-et-Flée. Wieder an einer Spundwand mit Heringen und einem weiteren Tau an einem Brückengeländer.Und jetzt muss Frauchen mit Hundchen raus, er schaut mich schon lange vorwurfsvoll an. Über die Brücke marschieren wir in der Abenddämmerung ins nahe Dorf hinauf. Es hat einige schöne Häuser und Anwesen, aber sonst wieder nichts ausser einer Kirche. In dieser Gegend ist ein Auto wohl zwingend.Der schleichende Holländer ist gemäss VNF noch drei Schleusen weitergefahren und morgen früh starte er um 7 Uhr. So hoffen wir, dass wir ihn heute das letzte mal vor uns gehabt haben. Denn obwohl er mit lediglich 3.5 km/h unterwegs ist, lässt er sich partout nicht überholen (bestätigt der VNF-Mann).Thomas wartet nach dem Abendessen noch den Generator. Dieser wurde in letzter Zeit sehr beansprucht und bedarf jetzt besonderer Aufmerksamkeit. Als sich der Skipper endlich zur Ruhe legen will und vorher noch die Toilette benutzt, ist diese verstopft! Dieses Problem kann heute nicht mehr gelöst werden. Zum Glück haben wir noch eine zweite in der Vorderkajüte.

Tagebuch Woche 6

Montag, 10.11.2014

Es hat aufgehört zu regnen und hoffentlich bessert sich mit dem Wetter auch die Laune des Skippers wieder. Die Wetteraussichten für diese Woche sind laut Météo France gar nicht mal schlecht und die „Escape" kann für die Weiterfahrt auf der Saône endlich wieder mit dem Verdeck aufgerüstet werden.Eine weitere Sorge von Thomas (eine von vielen zur Zeit) ist der tempöräre Ausfall des Funkgeräts. Ob's daran liegt, dass der Geräteträger nach hinten geklappt ist, oder ist es die Feuchtigkeit? Wir werden sehen.Um 9.30 Uhr starten wir für die letzten 20 km auf dem Canal entre Champagne et Bourgogne, noch 10 Schleusen. Ehrlich gesagt habe ich das Kanalfahren und die vielen Schleusen bis oben hin. Wenn der Schweizerische Schleusenschiffer Klub nicht eine so fidele Gesellschaft mit ganz tollen Mitgliedern wäre – ich würde den Stander vorne am Bug einholen und im schmutzigen Wasser versenken...Es ist 13.45 Uhr und Thomas versenkt die Fernbedienung in die dafür vorgesehene Box. Dann setzt der Schleusungsvorgang von nº 43 (Chemin de Fer) ein. Nach dem Abschleusen werden wir endlich in fliessendes Wasser entlassen.Bei Schleuse nº 17 (Heuilley) wartet bereits ein Brite mit einer kleinen Segelyacht. Er winkt uns zu und ruft, wir sollen mit ihnen zusammen einfahren, was wir dann auch tun. Nach dem Auslaufen ziehen wir dann an der „Maddoc" vorbei, die „Escape" ist eben um einiges schneller unterwegs.Es ist befreiend, auf der Saône zu fahren. Der breite Fluss hat noch recht viel Strömung nach dem vielen Regen. Der Himmel zeigt sich wieder mal in blau, nur einzelne kleine Wolken. Nur gegen Süden türmen sich Gewitterwolken auf.Der Brite hat gesagt, dass sie heute bis Auxonne fahren. Wir haben im Sinn, bis Saint-Jean-de-Losne zu kommen. Morgen ist wieder ein Feiertag in Frankreich und da kommt man nicht weiter. Aber schon bei Schleuse nº 18 (Poncey) beschliessen wir, es für heute gut sein zu lassen.Um 15.45 Uhr treffen wir im Port Royal von Auxonne ein. Ein Hafen mit allen Annehmlichkeiten: Strom (16 Amp.), Wasser und WiFi. Welch ein Luxus nach den letzten Tagen! Das brauchen wir jetzt dringend, wir sind so müde und abgekämpft.Nach Gassi-Runde mit Toby mache ich mich auf den Weg zum Einkaufen. Unsere Vorräte sind erschöpft. Mit dem Fahrrad geht nicht, es hätte nicht alles Platz in Rücksack. Deshalb gehe ich zu Fuss mit dem Einkaufswagen und Rucksack. Anschliessend an den Hafen erstreckt sich die grosse Kaserne des 511. Regiments, umgeben von Mauern, die muss erst mal umrundet werden um in die Stadtmitte zu gelangen. Dort finde ich nichts, wo ich meine Einkäufe tätigen könnte. Also frage ich mich durch bis ich schliesslich den Inter Marché finde. Rein ins Gewühl. Einkaufen in einem Supermarkt, den man nicht kennt, ist die reinste Schinderei bis man alles gefunden hat. Den Rückweg zum Hafen finde ich mit einer Abkürzung, denke ich. Nur habe ich die Rechnung ohne die Kaserne gemacht, die sich auch auf die andere Seite ausdehnt. Zudem ist es inzwischen dunkel geworden. Zum Glück höre ich plötzlich einen Esel, den ich schon im Hafen gehört hatte. Jetzt weiss ich, dass die Richtung stimmt und marschiere mit Sack und Pack zielstrebig dem Heimweg zu. Gut und gerne 5 km Hin- und Rückweg habe ich für diesen Einkauf zurückgelegt.Thomas hat inzwischen das Verdeck gereinigt und wieder aufgespannt. Seine geschundenen Finger, vom Zwischenfall in Schleuse nº 5 im letzten Kanal, haben sich entzündet und sind geschwollen, die Wunde auf den Handoberfläche blutet auch wieder.

Dienstag, 11.11.2014

Thomas fühlt sich immer noch matt und nicht gut. Sein Körper reagiert auf die Anstrengungen der letzten Tage. Obwohl er bis 9 Uhr geschlafen hat, steht er auf wackeligen Beinen. Auch hat er dunkle Augenringe. So habe ich meinen Mann noch nie erlebt. Ich verabreiche ihm aus unserer Bord-Apotheke Tropfen zur Stärkung des Kreislaufs und hoffe auf Besserung.Trotzdem lässt ihm die verstopfte Toilette keine Ruhe und er beginnt wieder mit Arbeiten. Unterdessen kommt der Brite von der „Maddoc" vorbei. Er und seine Frau haben gestern, während ich einkaufen war, am gleichen Steiger festgemacht. Er steht jetzt an der Reling und fragt nach Thomas. Ich erkläre ihm, dass er mit unserer Toilette beschäftigt sei. Da meint er trocken: oh, what a shit-job! Das kann man wohl sagen.Leider bringen die Bemühungen nicht das gewünschte Resultat, das Rohr ist komplett verkalkt.Ich benutze die Gelegenheit und arbeite den Berg Schmutzwäsche ab, der sich in der Vorderkajüte angesammelt hat. Andere Bootsfrauen tun am heutigen Feiertag dasselbe, auf einigen Yachten und Luxemotors hängt Wäsche zum trocknen an der Sonne.Auf Toby's Rundgang treffe ich den britischen Hafenwart mit seiner Frau und zwei Hunden und ein weiteres britische Paar mit ebenfalls zwei Hunden. Nun sind die Vierbeiner zu fünft und können spielen, rennen, rumtollen. Da fühlt sich Toby wie im Paradies, nach den vielen Tagen der Hunde-Einsamkeit.Am Nachmittag bauen wir (ich als Hilfskraft, soweit meine Kraft reicht) das Bi-Mini (Wintergartenzelt) wieder auf. Abgebaut war es definitiv schneller! Es ist ein herrliches Gefühl, die „Escape" wieder in ihrer vollen Grösse mit „Wintergarten" nutzen zu können.Kurz nach dem Abendessen, das Geschirr ist noch nicht abgewaschen, kommt der Brite wieder vorbei. Habt ihr auch keinen Landstrom? fragt er. Offensichtlich ist die Stromversorgung am ganzen Steiger ausgefallen. Die Beleuchtung auf der „Escape" funktioniert auch über die Bordversorgung, aber der Entfeuchter hatte sich eben ausgeschaltet.Thomas ergreift die Gelegenheit und lädt die zwei zum Kaffee ein. Da wir, der Brite und ich, uns noch nicht vorgestellt hatten, holen wir das nach. Hi, I'm Paul. Ich staune einen Moment lang, denn Thomas hatte mir gesagt er heisse Frank... Paul lacht, als ich es ihm sage und meint: Yes, I'm frankly Paul! Ein herrlicher Typ mit seiner reizenden holländischen Frau, Jenny. Den ganzen Abend tauschen wir unsere Erlebnisse aus. Hat richtig gut getan, wieder einmal ein paar Stunden in Gesellschaft zu verbringen.Wir fahren morgen nicht weiter, hängen einen weiteren Liegetag an.

Auxonne vielle Ville Auxonne Kathedrale
Auxonne Hafen Platanen Buchen Allee

 

Mittwoch, 12.11.2014

Wir sind immer noch völlig antriebslos. Ganz offensichtlich sind wir an unsere Grenzen gestossen. Der Vormittag geht vorbei, ohne dass wir viel bewegt haben. Thomas trifft Paul und sie verabreden sich für den Nachmittag auf einen Stadtbummel.Den ganzen Morgen hat es geregnet, jetzt hellt es auf. Gegen 15 Uhr kommt Paul uns abholen. Gemütlich spazieren wir der Kaserne entlang, weiter zur Kirche. Alle öffentlichen Plätze, Brunnen und Laternen sind mit Astern-Kugeln in bunten Farben geschmückt. Auf dem Platz vor der Kirche steht eine Statue von Napoléon Bonaparte. Dieser war in jungen Jahren hier in der Garnison von Auxonne stationiert. Leider ist das Museum, das ihm gewidmet ist, seit dem 1. September für dieses Jahr geschlossen.Auf unserem weiteren Rundgang bleibe ich vor einer Bäckerei/Konditorei stehen. In der Auslage sehe ich die herrlichsten Süssigkeiten und ich habe Lust auf etwas Süsses. Während die anderen mit Toby draussen warten, gehe ich rein. Obwohl ich die einzige Kundin bin, scheint die ältere Verkäuferin in Eile, mich zu bedienen. Aber ich habe die Qual der Wahl. Als ich mich endlich entschieden habe, packt sie die Patisserie ein und ich bezahle. Einen Euro Rückgeld sollte ich erhalten und staune auf die zwei gelben Münzen in meiner Hand, die sie mir gegeben hat. C'est un Euro, Madame! In meinem Kopf immer noch lauter Fragezeichen... Dann begreife ich endlich: sie hat mir zwei 50 Cent Münzen gegeben. Ich stehe die letzten Tage ab und zu neben mir. Das zeigt sich gleich noch mal. Wie ich die Schachtel mit Gebäck nehmen will, herrscht sie mich an: das gehört nicht Ihnen! Ich habe die hölzerne Schale für Wechselgeld ergriffen...Wie die Türe hinter mir zu ist und ich wieder zu meinen Begleitern stosse, muss ich mich erst mal vom Lachen erholen, bevor ich erzählen kann, was eben passiert ist. Thomas möchte dann noch eine frische Baguette haben, aber die muss er selber holen, da geh ich nicht mehr hinein.

Donnerstag, 13.11.2014

Trotz dichtem Nebel wollen oder müssen wir jetzt weiter. Unser Treibstoff-Tank ist beinahe leer und die Tankstelle in Saint-Jean-de-Losne hat nur bis Mittag geöffnet. Wir gehen kurz zur „Maddoc" um uns zu verabschieden. Paul ist wach, Jenny schläft noch. Als wir wenige Minuten später, um 9.15 Uhr ablegen, winken uns beide zum Abschied zu. Vielleicht sieht man sich im Süden wieder, denn das ist auch ihr Ziel.Die ersten Kilometer sind sehr schwierig zu fahren, so schlecht ist die Sicht. Oft erst im allerletzten Moment sieht man die Signalisation. Thomas kann nicht mehr nach Kartenmaterial navigieren, da die Anhaltspunkte an Land fehlen und holt den PC zum Steuerstand. Nun navigiert er mit GPS-Tracker und Freie-Tonne.deSo finden wir denn auch die Tankstelle kurz nach 11 Uhr und warten nun auf Bedienung. Im Warten haben wir mittlerweile ja einige Erfahrung.Welch Wunder, der Herr von der Gemeinde, Betreiberin der Tankstelle, ist bereits um 13 Uhr da. Eigentlich, sagt er, wäre heute geschlossen, denn die Publikation im Internet sei nicht aktuell. Aha. Trotzdem bekommen wir unseren Tank gefüllt und wissen jetzt gleichzeitig, dass die Reserve noch mehr als genügend war. Weiter geht's zum Nautic Shop im Hafen. Wir brauchen einen neuen Schlauch für die Toilette. Während Thomas den Einkauf tätigt, mache ich den Landgang mit Hundchen.Um 14.15 Uhr ist alles zur vollen Zufriedenheit erledigt und wir legen wieder ab. Der Nebel hat sich jetzt in Hochnebel gewandelt, auch nicht schön, aber die Sicht ist um vieles besser.Die riesige Schleusenkammer von Seurre wird nur für uns gefüllt und dann mit uns um 3.75 m abgeschleust. Hier muss ich das erste Mal die Schwimmweste tragen, diese zu tragen ist in den folgenden Schleusen Pflicht! Um 16.15 Uhr machen wir im Hafen von Seurre fest. Es gibt Strom und somit ein trockenes Schiff.

Freitag, 14.11.2014

Kurz vor dem Ablegen kommt noch der Angestellte von der Capitainerie vorbei, um das Liegegeld einzukassieren. Gestern Abend und heute früh war noch geschlossen. Und siehe da, es ist derselbe junge Mann, der gestern die Tankstelle in Saint-Jean-de-Losne bedient hat.Um 9.15 Uhr legen wir ab bei nicht ganz so dichtem Nebel wie gestern und schon bald zeigt sich die Sonne.Das Hochwasser der Saône von vergangener Woche ist zum grossen Teil abgeflossen. Doch die Ufer zeigen grosse Abrisse und im Wasser schwimmen nebst dem üblichen Treibholz ganze Baumstämme. Der Skipper muss deshalb ab und zu Slalom fahren.Um die Mittagszeit erreichen wir Chalon-sur-Saône und legen im Hafen neben der Insel Saint-Laurent an. Thomas wartet den Maschinenraum und führt Toby Gassi. Ich gehe unterdessen ins nahe Einkaufscenter um einige Besorgungen zu machen. Knapp zwei Stunden später legen wir wieder ab.An Uferböschung und Brückenpfeilern sieht man noch den Schlamm des Hochwassers ca. 1.5 m über dem jetzigen Wasserstand. Rund um Brückenpfeiler haben sich mächtige Holzhaufen verkeilt.Heute haben wir mit viel Strömung 74 km zurückgelegt und zwei Schleusen passiert. Das in etwas mehr als fünf Stunden Fahrt. Kein Vergleich zu den Schleichfahrten auf den Kanälen!In Tournus legen wir um 16.15 Uhr an. Die letzten zwei Stunden hat es geregnet, aber dank dem wieder aufgebauten Bi-Mini bleiben wir jetzt trocken. Ausser in Schleusen, aber die sind hier auf dem Fluss selten geworden. Im Laufe des Abends regnet es immer stärker, es giesst wie aus Eimern. Toby stellt sich schlafend. Bei solchem Wetter hat er keine Lust auf Spaziergänge (und wir auch nicht).Hin und wieder fahren 110 m lange Frachtschiffe tal- und bergwärts an uns vorbei. Gegen 21 Uhr nähert sich in langsamer Fahrt ein Hotelschiff. Einige Passagiere sitzen noch im Restaurant, andere schauen in ihren Kabinen fern. Thomas beobachtet aus der Achterkajüte, dass die „River Discovery II" am Quai festmacht und ein Krankenwagen vorfährt. Offensichtlich ein medizinischer Notfall an Bord. Dann fährt das Schiff weiter talwärts.

Samstag, 15.11.2014

Thomas schläft aus. Erst nach dem Duschen wecke ich ihn. Während er Toby ausführt, richte ich das Frühstück. Auf dem Morgenspaziergang entdecken meine zwei „Männer", dass heute in Tournus Markt ist. Ich beeile mich mit essen, damit ich vor der Weiterfahrt noch da hin kann. Mit Pilzen, Feldsalat, hausgemachten Tagliatelle und Poulet komme ich zurück. Das gibt ein leckeres Abendessen.Um 10 Uhr sind wir dann soweit um abzulegen. Der Himmel ist noch bewölkt, aber es hat aufgehört zu regnen. Die Temperatur liegt bei 11° C. Die Saône führt durch den starken Regen letzte Nacht wieder viel Wasser und die „Escape" rauscht mit lediglich 1500 Touren gute 7-8 kn (ca. 13-15 km/h). Unsere Spitzengeschwindigkeit liegt bei 16 km/h.Gegen 12.30 Uhr sind wir in Mâcon und machen für einen Zwischenhalt fest. Das Hotelschiff von gestern Abend liegt auch hier. In Mâcon ist ebenfalls Markt und so decken wir uns noch mit Käse ein. Hier hat die Fromagerie Gibaud (4. Generation!) aus Belleville-en-Beaujolais ihren Stand. Die Auswahl in Tournus hatte mich nicht überzeugen können. Was Käse anbelangt, sind wir eben sehr verwöhnt, seit Rolf Beeler unser Nachbar in der Schweiz ist!Weiter bummeln wir noch durch die Gassen der Altstadt und schauen uns die Kirche Saint-Pierre an, deren Türme uns schon von weitem fasziniert haben. Ebenso imposant ist die Tafel mit den jeweiligen Hochwasserständen und Jahreszahlen am Quai. Im Jahre 1602 wurde ganz Mâcon von einem gewaltigen Hochwasser der Saône überflutet.

Kirche Pierre  Macon 3 Fassade Kirch Macon
Markt in Macon Markt Macon Kase

Eine Stunde später gehts weiter für den zweiten Teil unserer heutigen Etappe. Ich stehe unten in der Küche und bereite einen Imbiss für den Skipper her. Er und der Hund könnten den ganzen Tag (fr)essen! Das macht wohl die frische Luft aus.Immer wieder polterts an den Bootsrumpf. Thomas kann nicht jedem Stück Treibholz ausweichen, lediglich die grösseren umfährt er.Gekonnt slidet der Skipper gegen die starke Strömung an den Steiger von Belleville-sur Saône. Ich gehe von Bord und mache die „Escape" sofort am Bügel fest. Um 15.45 Uhr liegen wir sicher. Dieses Anlegemanöver hat vom nahen Restaurant aus ein Polizist der Gendarmerie Fluviale beobachtet. Kurze Zeit später, Thomas ist mit dem Reinigen des Rumpfes beschäftigt, kommt er vorbei uns macht dem Skipper ein Kompliment. Wie gross ist ihre Besatzung? fragt er. Wir sind zu dritt, der Hund, meine Frau und ich, antwortet Thomas. Der junge Polizist zeigt sich beeindruckt und erzählt dann, dass er eigentlich wegen der drei Boote, die am gleichen Steiger liegen, hier sei. Diese liegen seit mehreren Wochen da, obwohl nur maximal drei Tage erlaubt sind. Dann erzählt er Thomas noch von seiner Ausbildung und dem beruflichen Alltag. Ein sympathischer Kerl.

Sonntag, 16.11.2014

Der Wasserpegel ist gegenüber gestern nochmals angestiegen. Konnte man von der Brücke, die den Schwimmsteiger mit dem Land verbindet, noch trockenen Fusses zum Weg gelangen, ist es da nun überschwemmt. Thomas, mit Gummistiefeln, trägt Toby hinüber, denn für ihn haben wir noch keine Stiefelchen gefunden.Um 10 Uhr gehts wieder los bei leichtem Nieselregen. Gegen Süden zeigen sich aber leichte Aufhellungen. Die Saône hat sehr viel Strömung und noch mehr Treibgut als gestern. Wer am Steuerstand sitzt hat keine Zeit, die Landschaft zu geniessen. Die volle Konzentration ist gefragt, um den zum Teil kaum aus dem Wasser ragenden Ästen und Baumstämmen auszuweichen. Immer wieder sehen wir Fischerboote im Wasser vertäut, die waren wohl vor kurzem noch am Ufer. Wenn uns grosse Frachter kreuzen, schaukelt die „Escape" hin und her und Toby zittert mal wieder.Gegen 13 Uhr erreichen wir die letzte Schleuse der Saône (Couzon), aber von den üblicherweise 4 m Hubhöhe verbleiben wegen des Hochwassers maximal 2.5 m. Der Schleusenwärter übergibt uns ein Merkblatt mit dem Hinweis, dass die Durchfahrt für Lyon wegen des hohen Wasserstandes mit Lichtsignal geregelt wird. Unserer nächste Einfahrtszeit ist um 14 Uhr. Eine halbe Stunde vorher treffen wir vor dem Pont Mazaryk ein und müssen jetzt warten, bis die Ampel auf grün schaltet. Deshalb machen wir erstmal an einer Péniche fest. Als die Ampel grün zeigt, fahren wir weiter unter den vielen Brücken Lyons durch. Die Saône verläuft jetzt hier in einem engen Becken, in Bogen und die Brückenpfeiler tun das ihre, um die Strömung noch anschwellen zu lassen.

Die Saône geht sehr hoch, Sandsäcke liegen schon bereit, unzählige Brücken müssen passiert werden. Einige haben Aussparungen in der Mitte, damit bei Hochwasser die Führerstandskabinen noch durchpassen
Einfahrt Lyon Lyon Hochwasser
Bruckendurchfahrt 2 Bruecken Lyon

Zwischen der Passerelle Saint-George und dem Pont Kitchener-Marchand müssen wir festmachen, da es nur hier Poller hat. Alles andere wäre in der reissenden Strömung zu gefährlich für Boot und Besatzung. Der Halt ist zwar nur für Schiffe ab 50 m erlaubt.Nachdem die „Escape", mit dem Bug in der Strömung und an fünf Tauen am tiefen Quai festgemacht ist, hören wir aus dem Maschinenraum ein seltsames Geräusch und es vibriert stark. Thomas öffnet den Zugang und stellt fest, dass sich im Maschinenraum viel Wasser angesammelt hat. Bald stellt sich heraus, dass das Kühlwassersystem kein Wasser mehr hat. Beim Wiederauffüllen läuft es unten gleich wieder raus. Möglicherweise hat die Kühlwasserpumpe einen Schaden erlitten. Beim Aufkreuzen gegen den Strom mit fast 15 km/h musste der Skipper den Motor kurzfristig auf Höchstleistung bringen um sicher anlegen zu können. Diese Belastung hat die Pumpe wohl nicht gouttiert.Auch das andere, uns unbekannte Geräusch, macht uns stutzig. Es dröhnt und vibriert aus irgend einer Ecke des Maschinenraums. Nach längerem Suchen stellt Thomas fest, dass der Wassertank vibriert. Er schreibt das der Tatsache zu, dass der Tank nur noch zu gut einem Drittel gefüllt ist und nun in Schwingung geraten ist durch die starke Strömung zwischen Quai und Bordwand. Wasseranschluss, wie auch Strom, gibt es hier aber nicht.Während ich mit Toby eine Bäckerei suche und am Bahnhof Perrache auch eine finde, macht sich Thomas auf die Suche nach einem Kanister. Direkt vor dem Pont Kitchener-Marchand liegt die Péniche eines Künstlers. Dieser kann uns mit einem 40-Liter Kanister aushelfen. 300 m von der „Escape" entfernt ist der nächste Wasseranschluss. Mit dem Fahrgestell unseres Einkaufswagens zieht Thomas los zum Wasser holen. Das Gestell ist aber nur für 25 kg konzipiert und bricht zusammen. Mit dem Kanister auf den Schultern kommt er daher. Noch sieben Mal macht er den Weg, jetzt aber mit dem Fahrrad. Der Tank füllt sich, das Vibrieren bleibt, mal mehr, mal weniger. Mit dem Scheinwerfer begibt sich Thomas auf Spurensuche an Land und findet einen Wasserschacht mit Pumpe. Ob das eine Ursache sein könnte?Die Saône steigt weiter. Mich packt inzwischen die pure Angst. Aber die „Escape" verlassen und ins Hotel ziehen ist auch keine Lösung. Um 20.30 Uhr ruft Thomas die Gendarmerie Fluviale an. Wenn der Fluss weiter steigt sind wir, Boot und Besatzung, in Gefahr. Nach einigen Minuten der Abklärungen wird uns mitgeteilt, dass der Wasserpegel nur noch um 1-2 cm ansteigen werde (wir liegen aber jetzt schon gut 12 cm höher als beim Anlegen!) und im Einzugsgebiet seien vorerst keine weiteren Regenfälle zu erwarten.

Das Wasser steigt, es fehlen nur noch cm bis zur Überspühlung des Quai. Dank den schweren Vertikal-Fendern aus PVC liegt der Rumpf sicher. Aber die Strömung reisst mächtig an den Festmachertauen.
Hochwasser sieht ruhig aus aber es tuscht Hochwasser nachts plus 2Leinen
Hochwasser steigt ber Anlegerkante Hochwasser Vertikal Fender halten

Tagebuch Woche 7

Montag, 17.11.2014

Thomas hat im Internet eine DAF-Trucks-Servicestelle in Lyon gefunden. Heute Nachmittag wollen sie uns einen Mechaniker zur Abklärung vorbei schicken. Aber, so hat der Werkstattchef erklärt, Ersatzteile für eine Pumpe für diesen Motor hätten sie nicht am Lager.Unzählige E-Mails und Telefonanrufe an Behörden und Schleppdienste folgen. Thomas begibt sich sogar persönlich zur VNF-Zentrale, die gleich oberhalb des Quais, wo wir festgemacht sind, ihren Sitz hat. Diese stellt sich aber als reine Verwaltungsbehörde heraus. Schon die Empfangsdame hat von Tuten-und-Blasen keine Ahnung. Wenigstens kann sie ihm auf Bitte hin die Telefonnummer der zuständigen Regionalstelle gegen. Verbinden intern geht gar nicht... Die angerufene Dienststelle bedauert, vor Samstag keinen Schlepper zur Verfügung zu haben. Thomas findet dann in der Nähe die Firma Maillard, die diesen Dienst ebenfalls anbietet. Auf Anruf verspricht dieser so rasch als möglich zu helfen, dann könnten wir in einen sicheren Hafen verlegt werden. So rasch als möglich ist nicht vor Dienstag oder Mittwoch, so lange müssen wir noch ausharren.Am Nachmittag habe ich mich so weit beruhigt, dass ich mit Toby die nähere Umgebung erkunden kann. Oberhalb der Passerelle Saint-George ist ein pittoreskes Altstadtquartier mit kleinen Comestibles, Bäckereien, vielen Bistrots und Restaurants. Wie wir zurück kommen, ist der Wasserpegel wieder merklich angestiegen. Offensichtlich wird das Hochwasser durch gezieltes Ablassen in den späten Nachmittags- und Abendstunden reguliert, um so Überflutungen möglichst zu vermeiden. Wie hoch das Wasser an unserem ungemütlichen Liegeplatz ist, zeigt sich, wenn eine Frachtpéniche vorbei fährt: das Wasser schwappt über den Quai auf den Gehweg.Als es dunkel wird, kommt bei mir wieder Panik auf. Tagsüber kann ich beobachten was abläuft, aber in der Dunkelheit fühle ich mich hilflos. Thomas fragt mich, ob ich die „Escape" verlassen möchte. Alleine, denn er kann und will das Boot natürlich nicht im Stich lassen. Kommt nicht in Frage, lautet meine Antwort, wir stehen das zusammen durch. Irgendwann wird dann die Müdigkeit so gross, dass man trotz allem an Schlaf denken kann.

Dienstag, 18.11.2014

Ich wache mitten in den Nacht auf. Es ist 02.45 Uhr und ich merke, dass Thomas nicht neben mir liegt. Dafür steht Toby neben dem Bett. Das Wasser rauscht der Bordwand entlang und das dumpfe Geräusch und das Vibrieren sind fast unerträglich. Mein erster Gedanke ist: jetzt ist der Quai überflutet! Ich finde Thomas aber im Maschinenraum. Er versucht, den ins vibrieren geratene Wassertank irgendwie zu stabilisieren, was aber nicht gelingt. Da der Wasserstand extrem hoch ist, kontrolliert er die Taue und legt vorsorglich noch ein weiteres über den Bug.Dann legen wir uns wieder in Bett und ziehen die Decke über die Ohren. Nur der arme Toby muss in seinem Hundebett auf dem vibrierenden Boden liegen. Ich höre, dass er keine Ruhe findet und erbarme mich. Ausnahmsweise darf er am Fussende unseres Bettes schlafen.So schlafen wir dann bis es wieder hell geworden ist. Nachdem wir uns ein ausgiebiges Frühstück gegönnt haben, läutet das Telefon. Johan in Holland hat eine Pumpe gefunden! Thomas ruft gleich Monsieur Maillard an und fragt ihn, ob er uns auch mit der Demontage der alten und Montage der neuen Pumpe behilflich sein könnte? Kann er und er wird vorbei kommen und sich die Sache vorab mal anschauen. Jetzt muss das Ersatzteil nur noch per Express von Holland nach Frankreich geliefert werden (und ankommen!). Endlich wieder ein Lichtblick!Unser Freund Anco Bosch hat heute früh durch Arjan Bruintjes von Veno Yachting von unserem erneuten Pech erfahren. Er ruft an und erkundigt sich, wie es uns geht. Es tut so gut, solche Freunde zu haben. Nur die Mitbeteiligten an unserer Misere hüllen sich in nobles Schweigen, obwohl sie per E-Mail informiert worden sind.Toby und ich haben unseren Aktionsradius nochmals ausgedehnt in Vieux Lyon, das zum UNESCO Weltkulturerbe gehört. Vorbei an der Kathedrale Saint-Jean, gleichzeitig Bischofssitz, haben wir die Gassen Richtung Pont Maréchal Juin besichtigt bzw. erschnüffelt.Monsieur Maillard kommt wie versprochen an Bord und schaut sich den Schaden an. Arjan ist in Holland unterwegs um die neue Pumpe abzuholen.Der Wasserstand ist wieder für die Abendstunden „normal" hoch und unser Wassertank schwingt und dröhnt weiter. Aber auch die letzte Aktion des Skippers, die „Escape" ca. 2-3 m zurückzuversetzen, bringt leider nichts. Ist eben alles „Scheisse", wie es Johan (Holländer) heute deutsch und deutlich gesagt hat!Von DAF-Trucks-Service haben wir nichts mehr gehört. Die werden aber auch nicht mehr benötigt, wir haben zuverlässigere Fachleute gefunden.Beim Zubereiten des Abendessens schaukelt die „Escape" plötzlich wie wild. Ich will nachsehen, ob uns ein Frachtschiff passiert hat, sehe aber nur Blaulichter auf dem Pont Bonaparte blinken. Thomas beobachtet dann von oben die Rettungsaktion einer Person durch die Gendarmerie Fluviale unterhalb der Passerelle Saint-Georges.

Mittwoch, 19.11.2014

Meine Ängste haben sich gelegt, es ist schon fast Normalität eingekehrt. Der Wasserstand ist zurückgegangen, auch führt die Saône nicht mehr soviel Treibgut. Trotzdem ist unsere derzeitige Lage natürlich alles andere als gemütlich.In den 10 Uhr Nachrichten im Radio hören wir, dass sich gestern eine Frau in die Fluten der Saône gestürzt hat. Ein Mann ist ihr hinterher und konnte sie festhalten, bis die schnell vor Ort eingetroffene Rettungsmannschaft sie ins Schlauchboot ziehen konnte. Dem Mann gehe es gut und die Frau habe leichte Unterkühlung erlitten...Nach dem Mittag bringen wir den ausgeliehenen Kanister zurück. Gleichzeitig dürfen wir das Atelier des Künstlers Yves Henri, Sculpteur/Kunstmaler besichtigen. Vor allem seine Skulpturen haben es mir angetan. Während wir noch im gemütlichen Salon seiner Péniche sitzen und Toby die Spur seiner Katze aufgenommen hat, ruft Monsieur Maillard an. In einer halben Stunde geht's los! Wir werden abgeschleppt.Einerseits freue ich mich, endlich aus der misslichen Lage frei zu kommen, andererseits habe ich schon das Nervenflattern, denn die Strömung der Saône ist immer noch ganz erheblich. Um 15.30 Uhr dröhnt ein 500 PS stark motorisiertes Boot längsseits, darauf Maillard und ein junger Kollege. Thomas schickt mich mit Toby nach unten. Die drei Männer machen die Arbeit lieber alleine, können weder Frau noch Hund mit schwachen Nerven brauchen.Für diese Aktion braucht es eine Sondergenehmigung der Police Fluviale und die begleitet uns denn auch, mit Blaulicht natürlich. Bis die „V.I.P." zusammen mit der „Escape" Fahrt gegen den Strom aufnimmt und endlich vom Quai wegkommt, wage ich kaum zu atmen. Aber der junge Mann hat sein Boot völlig im Griff und Maillard steuert unsere „Escape" mit dem Bugstrahl- und dem Steuerruder mit. Zuerst müssen die beiden Boote in einem grossen Bogen bergwärts wieder in die Strömung gebracht, dann nebeneinander noch unter drei Brücken durch manövriert werden. So weit so gut. Aber dann kommt die Einfahrt in den Hafen Confluence auf der linken Uferseite. Gekonnt driftet der Skipper der „V.I.P.", mit uns im Paket längsseits, hinein. Der Bug der „Escape" nähert sich bis auf einen Meter der Hafenmauer, er hat noch ca. drei Meter Spielraum im Heck. Vorneweg die Polizei mit Blaulicht und auf der Fussgängerbrücke, die das Hafenbecken überspannt, unzählige Schaulustige. Fehlt nur noch die Blaskapelle!Nun liegen wir im schönsten Hafen, den ich mir vorstellen kann, Halte Fluviale de Confluence, nach drei Tagen voller Angst und Ungewissheit.

Der neue Hafen Confluence in Lyon verfügt über eine super Infrastruktur, toll gelegen!
Confluence Hafen3 Confluence Hafen2
Halte Fluviale Confluence Confluence by night 2

 

Und bald lösen sich Probleme, eines um das andere. Zuerst hört das nervtötende Dröhnen und Vibrieren des Wassertanks auf, wir sind ja jetzt wieder in ruhigem Wasser. Dann sieht Thomas, dass gemäss DHL-Tracking unser Paket von Holland nach Frankreich erfasst ist. Später spaziert ein französisches Paar vorbei und fragt, ob wir eine Panne hätten. Sie hatten kürzlich auch Pech. Auf der Rhône haben sie in der Nähe von Valence Schraube und Ruder verloren... Ihre Yacht „Lady M" haben sie übrigens auch in Holland gekauft, mit Ruud Thomas aus Amsterdam, der auch unser Scout war. Die Welt ist doch klein.Mit Toby umrunde ich erst mal das Hafenbecken. Alles ist neu, vor ca. 5 Jahren gebaut, tolle Architektur. Auf der Südseite sind die Restaurants und Cafés gelegen, auf der gegenüberliegenden Seite das grosse Einkaufszentrum, das aber durch die geniale Bauweise überhaupt nicht störend wirkt, im Gegenteil. Confluence, ein wahrer 4-Sterne-Hafen. Zu unserem Glück fehlen jetzt nur noch Strom und Wasser, aber das bekommen wir morgen auch noch.Vor zwei Tagen noch wollte Thomas die „Escape" verkaufen. Charlotte und Christian Huber kennen das. Wir haben im September letzten Jahres in Holland auch gehört, die „Kinette" werde verkauft...

Donnerstag, 20.11.2014

Ach, wie herrlich haben wir geschlafen! Keine Gefahr mehr durch reissendes Hochwasser, kein vibrierender Wassertank. Aber Thomas ist fix und fertig, völlig ausgebrannt (bei mir zeigt der Barometer wieder nach oben).Um 9 Uhr kommt Monsieur Laurent Dupuis, Verantwortlicher für den Hafen der Stadt Lyon, vorbei. Er schaltet Strom und Wasser frei, bringt Prospekte über das schöne Lyon und hat alle möglichen Infos. So zum Beispiel, dass der junge Mann, der die „V.I.P." so souverän beherrscht noch viel grössere Schiffe fährt: er ist nämlich Commandant auf der "Excellence Rhône", einem Passagierschiff von 110 m Länge, die gleich ausserhalb des Hafens liegt. Chapeau! Das macht mir jetzt noch mehr Eindruck als seine zwei schönen Harley Davidson, die er mir auf seinem Smartphone gezeigt hat. Als wir Monsieur Laurent nach den Kosten für den Liegeplatz fragen, winkt er ab. Das nennt man Gastfreundschaft.Die Nachforschung im Internet über den Verbleib unseres Pakets zeigen immer noch den gleichen Status. Thomas ruft beunruhigt in die Zentrale in Deutschland an. Aber die wissen auch nicht mehr, nur, dass der Auftrag in Holland an einen Subunternehmer übergeben wurde. Was für ein Saftladen ist das denn? Das war wohl definitiv das letzte Mal DHL!

Wir getrauen uns kaum ausser Sichtweite der „Escape". Vielleicht – hoffentlich – fährt plötzlich DHL vor!? Zu unserem grossen Glück ist die Umgebung so interessant und bietet alles was man so braucht (und noch viel mehr). Abends, als die Hoffnung auf heutige Lieferung erst mal schwindet, machen wir uns auf zum Einkaufen in's Carrefour im Einkaufscenter vis-à-vis. Nicht fehlen darf dabei eine Flasche Beaujolais Nouveau. Den gibt es ab heute zu kaufen und muss unbedingt probiert werden.

Freitag, 21.11.2014

Wir halten uns mit Beschäftigung bei Laune und denken, so vergeht die Zeit schneller bis unser Ersatzteil endlich da ist...Es ist Mittag, von DHL keine Spur. Auf (wiederholte) Rückfrage erhalten wir von Arjan in Holland Bescheid, dass das Paket seit Mittwoch in Lyon sein sollte. Thomas telefoniert weiter, niemand ist zuständig. Mails und Anrufe auf der Hotline bleiben unbeantwortet.Am Nachmittag mache ich Sightseeing in den ehemaligen Docks von Lyon. Was hier auf der Presqu'île (2ᵉ Arrondissement) Perrache/Confluence aus Alt und Neu entsteht, ist schlichtweg umwerfend. Das faszinierendste Gebäude ist der „Cube Orange" der Architekten Jakob + Macfarlane, Paris. In vier Etappen wird Presqu'île in ein architektonisches Wunderwerk verwandelt. Die erste Etappe ist realisiert, die zweite im Bau. Die Stadt Lyon bezeichnet das Projekt als „un rêve d'architecture" und man kann diesen Lyonnais nur gratulieren. Man fühlt sich hier wie in einer dauerhaften Ausstellung zeitgenössischer Architektur. Der Name Confluence übernimmt auch die Bedeutung des Zusammentreffens der zwei grossen Flüsse Saône und Rhône, die diese Halbinsel umfliessen.Ein grosser Kontrast zur Renaissance von Vieux Lyon und deshalb empfinde ich diese Stadt so inspirierend.Um 16 Uhr kommen Toby und ich zurück und finden Thomas am rumtigern. Immer noch kein Paket da. Ich gebe die Worte hier nicht wieder, die er für DHL ausspricht.Heute früh hatte ich den Wunsch geäussert, gerne noch ein paar Tage in Lyon zu bleiben. Lyon gefällt mir wie noch kaum eine andere Stadt zuvor. Jetzt sieht's ganz so aus, als ob dieser Wunsch unfreiwillig in Erfüllung geht.

Samstag, 22.11.2014

Geschlafen wird heute bis Toby sich meldet. Es ist bereits 9 Uhr und bellend macht er uns klar, dass er mal muss.Unsere Ersatzteillieferung ist nach wie vor verschollen, so wenden wir uns eben anderen anstehenden Arbeiten zu. Der Skipper beginnt mit der Reparatur am „Escape-je" (Beiboot) und ich putze das Interieur mal wieder gründlich.William Fortier läuft mit seiner „V.I.P." aus, diesmal zum Vergnügen. Es ist ja auch wunderschönes Wetter.Ich habe das Info-Material, das uns Monsieur Dupuis übergeben hat, ausgiebig studiert und für den Nachmittag zwei Sehenswürdigkeiten aufs Programm gesetzt: die Basilika Notre-Dame de Fourvière und den Flower-Tree. Grösser können Kontraste wohl nicht sein.So besteigen wir nach dem Mittag „Le Vaporette". Dieses schwimmende Taxi fährt stündlich von Confluence nach Bellecour (5ᵉ Arrondissement). Mein Skipper ist einigermassen entsetzt über die elegante Bekleidung der Hostess, trägt diese doch keine Schwimmweste, dafür Pumps mit hohen Absätzen. Auf diesen balanciert sie gekonnt vom schwankenden Schiff zum Quai. Auf die Frage: sind sie noch nie ins Wasser gefallen? antwortet sie lächelnd: non, pas encore! Hoffen wir das Beste für die nette Dame. Jedenfalls ist die Beförderungsart mit dieser Vaporette sehr angenehm und schnell.An der Haltestelle Bellecour angekommen, überqueren wir den Pont Bonaparte und marschieren, nur in T-Shirt und Pulli (Ende November!) durch Vieux Lyon Hügel aufwärts. Oben angekommen, bewundern wir von der Terrasse vor der Basilika erst mal die fantastische Aussicht über die Stadt mit ihren Flüssen Saône und Rhône. Bevor wir die Basilika noch genauer anschauen, müssen wir uns in der Cafeteria stärken. Der Aufstieg war hart, nach vielen Monaten Holland sind wir uns solche Steigungen nicht mehr gewohnt! Für den Rückweg würden wir gerne das Funiculaire benutzen, aber die transportieren keine Hunde (auch keinen braven Toby). So beschliessen wir, den kürzesten Weg durch den Rosengarten zu nehmen, mit allen Abkürzungen. Das geht ganz schön in die Beine, sogar unserem Hund.Mittlerweile ist es schon 4 Uhr und ich möchte noch ein paar schöne Bilder vom Flower-Tree. Da heisst es schnell wieder über die Saône zum Place Bellecour und am Ende des Place Antoine Poncet, am Ufer der Rhône, steht er: der Flower-Tree. Ein imaginärer Baum mit 85 grossen, farbigen Blumen. Realisiert wurde dieses Objekt durch den koreanischen Künstler Jeong Hwa Choi. Anlässlich der Biennale d'Art Contemporaire 2003 in Lyon ausgestellt, wurde das Werk anschliessend in Wanderausstellungen gezeigt. Die Lyonnais bedauerten den Verlust „ihres" Baumes und so beschloss die Stadt Lyon, den Flower-Tree zu kaufen. Seit 2007 steht er nun dauerhaft hier.

Lyon ist eine sehr interessante Stadt  Alte und neue Architekur verbinden sich zu einem tollen Bild.
Lyon 14 Lyon 16
Lyon 06 Lyon 11

 

Sonntag, 23.11.2014

Thomas kommt vom Bäcker mit frischer Baguette und einer feinen Tarte aux abricots. Wir lassen es ruhig angehen, bis der Skipper mal wieder in den Maschinenraum abtaucht für Reinigungsarbeiten. Dieser wird sauber, Thomas samt Kleidung sind dafür jetzt schmutzig... Zum Glück hat Frau auf einer Waschmaschine an Bord bestanden.Ich telefoniere mit Nina in der Schweiz und wir plaudern über dies und das, auch über das Wetter. Während sie bei Hochnebel in der Kälte frieren muss, steigt das Thermometer in Lyon wieder auf knapp über 20° C, obwohl es heute bewölkt ist. Erst am Mittag kommt Wind auf, bis dahin sitzen wir im T-Shirt auf dem Achterdeck. Auch der Junge, der neben der „Escape" angelt, hat seine Jacke ausgezogen.Nach einer kleinen Siesta machen wir dasselbe, wie Hunderte Lyonnais auch an diesem schönen Sonntag: spazieren in Confluence. Obwohl wir jetzt schon einige Tage hier sind, sind wir immer noch und immer aufs neue begeistert von diesem neu entstandenen und zum Teil noch im Bau befindlichen Quartier. Erinnerungen werden wach an die Expo '02, nur dass hier etwas entsteht, das Bestand haben wird. Mutige und weitsichtige Städteplaner scheuen sich nicht, den Traum von etwas völlig Neuem (z.B. der futuristische Neubau des Musée des Confluences an der Südspitze von Presqu'île, der Cube Orange) und dem sanft renovierten Alten (La Sucrière, Kran- und Geleise-Anlagen auf den alten Docks etc.) zu realisieren. Man schaut und staunt, sieht immer wieder neue Details, wie z.B. die hinter riesigen Glasfassaden gedruckten Aufnahmen von früher. Jung und Alt freut sich an diesem Quartier, aufgelockert immer wieder durch Sitz- und Grünflächen. Bravo, Lyon, c'est exceptionnel!

Das neue Quartier hat den Namen "Confluence" vom Zusammenfliessen der Saône mit der Rhone entlehnt, treffender kann man dieses Quartier nicht bezeichnen. Genauso fliesst Altes mit Neuem zusammen und bildet eine gelungene Harmonie.
Lyon 25 Lyon 29
Lyon 30 Lyon 32
Lyon 26 Lyon 35
Lyon 34 Lyon 36

 

Auf unserem Bummel erreichen wir die Südspitze von Pres-qu'île, da wo Saône und Rhône sich vereinen.Da werden wir eines Tages durchfahren, wenn denn unser Paket mit Ersatzteilen auftaucht und die „Escape" wieder fahrtüchtig ist...Lars Lehmann aus Deutschland, mit seinem Boot selber nicht gerade mit Glück geschlagen, hat uns gestern per Mail folgenden treffenden Spruch geschickt: Am Ende wird alles gut. Und ist es nicht gut, ist es nicht das Ende.Danke, Lars, diese wahren Worte werden ab sofort fester Bestandteil unserer Lebens- und Bordphilosophie!

Tagebuch Woche 8

Montag, 24.11.2014

Thomas trifft heute früh auf seinem Gassi-gehen-Baguette-besorgen-Rundgang William Fortier. Auf dessen Frage, ob wir denn nun die Ersatzteil-Lieferung endlich erhalten hätten, antwortet mein Mann: leider nein. Das nächste Mal werden wir aber einen Fahrrad- (Fiets-) Kurier aus Holland liefern lassen, das geht bestimmt schneller...Ein weiterer Punkt auf meiner Stadtbesichtigungs-Wunschliste: Les Murs Peints. Lyon zählt gut Hundert dieser Fresken und Fassadenmalereien im Stile von „trompe l'œil". Vorgesehen hatte ich eine geführte Tour im Quartier Croix-Rousse mitzumachen. Leider bietet das Tourismusbüro diese z.Z. nicht mehr an, es hat wohl zu wenig Interessenten für diesen zwei stündigen Rundgang zu Fuss. Verschieben wir das auf nächstes Jahr.Wir kommen dann am Nachmittag doch noch zu einer Besichtigung der besonderen Art. Wir treffen auf Messieurs Fortier, Maillard und Cartier, die am Arbeiten auf einer Péniche sind und gerade mal Pause machen. Fortier lädt uns auf einen Kaffee auf die „Excellence Rhône" ein. Zuerst zeigt er uns seinen Arbeitsplatz. Viel Technik, klar, aber das Beste ist die hydraulisch absenkbare Kommandobrücke. Bei Bedarf, z.B. unter dem Viaduc de la Quarantaine (beim Bahnhof Perrache) in Lyon, kann das Dach noch zusätzlich abgesenkt werden. Stehen geht dann im Kommandoraum gar nicht mehr, nicht mal aufrecht sitzen. William Fortier demonstriert uns mit seinem komödiantischen Talent, wie er sich dann auf die Fussstütze seines Kapitänssessel setzt, oder notfalls auch auf den Boden. Diese Vorführung in Jeans und Harley-Shirt, aber in der Realität in Uniform mit goldenen Streifen! Anschliessend zeigt er uns die ganze Infrastruktur, Restaurant, Aufenthaltssalon, Kabinen des Personals, aber auch je eine Kabine für Passagiere in der jeweiligen Kategorie.Zum Kaffee setzten wir uns an die Bar. Mit dabei ist jetzt auch die Frau von Michel Cartier, Laura, eine gebürtige Deutsche. Als Hotelfachfrau ist sie zur Schifffahrt gekommen und hat dann (der Liebe wegen!) den Beruf gewechselt. Zuerst als Matrose, heute als 1. Offizier arbeitet sie im Team zusammen mit ihrem Ehemann, der ebenfalls Commandant auf der „Excellence Rhône" ist. Die Crews Fortier/Cartier wechseln sich im 15-tägigen Tournus ab.Ich geniesse den feinen Kaffee, Toby sucht nach verloren gegangenen Erdnüsschen unter der Bar und Thomas lässt sich technische Details zu Motoren, Aggregaten und Technik erklären. Imposant sind die Aufnahmen, die Fortier uns zeigt. Das Schiff in einer Schleuse, seitlich knapp ein halber Meter Spielraum.Das Einfahren muss deshalb äusserst präzis sein, denn eine kleine Querabweichung würde sich bis zum Heck schnell mal bis auf 1.5 m auswirken. Gesteuert wird vom Bug aus, hinten folgen noch gegen 90 m Schiff. Auf die Frage, wie denn so ein Passagierschiff überhaupt auf die Rhône gekommen ist, sehen wir weitere Fotos. Die „Excellence Rhône" wurde in Holland gebaut und zusammen mit zwei weiteren Schiffen auf Pontons über das Meer nach Marseille gebracht. Dort wurden sie fertig gestellt.Auf dem Rückweg zu unserer „Escape" sind Thomas und ich uns einig: auch Pannen können positive Seiten haben! Schon wieder haben wir ein paar tolle Menschen kennen gelernt.Eine Mail von Michael und Helga (MS Ingrine) aus Deutschland, die wir bei der Rückkehr lesen, hat in etwa folgenden Inhalt: ... und wir hoffen, dass DHL dann das Weihnachtspaket liefert...

Dienstag, 25.11.2014

In einem Monat ist tatsächlich schon Weihnachten. Das Wetter hat eine Kehrtwende gemacht, der Himmel ist grau und ab und zu fällt Nieselregen bei 11° C (10° C weniger als noch am Sonntag). Die Temperatur vom vergangenen Sonntag dem 23.11. war übrigens die höchste je gemessene an diesem Tag seit 1922.Der Skipper nimmt sich jetzt endgültig dem verstopften Toilettenrohr an. Alle bisherigen Versuche mit Gummistöpsel, Entkalkungsmittel usw. sind gescheitert, so bleibt am Ende nur das Auswechseln des Schlauchs. Sch...arbeit, aber wenn wir „unsere" Toilette (die grössere, bequemere) wieder mal benutzen wollen, muss das eben sein. Ich „darf" helfen, leuchten mit der Taschenlampe, beim Einzug des neuen Schlauchs und wir schaffen es. Dann montiert Thomas alles wieder und ...Atem anhalten... es funktioniert!Ich hätte jetzt Lust, Weihnachtsguezli zu backen, die mag ich nämlich lieber im Advent als erst an Weihnachten. Abends zum Kaffee ein paar knabbern, mhm. Aber mit meinem Schleckmaul werde ich wohl nicht darum herum kommen, ein- zwei mal den Vorrat aufzustocken. Vorerst muss ich mir aber noch einige Zutaten besorgen.News zum Paket: dieses wurde gemäss neuster Statusmeldung von Holland nach Köln und von dort nach Lahr zum Weitertransport ins Zielland (hoffentlich Frankreich!) geschickt. Bin mir sicher, der Velokurier hätte den direkten Weg nach Süden gewählt.Am Nachmittag schauen Michel und Marie Grumier von der „Lady M" vorbei. Sie haben ähnliche Erfahrungen gemacht. Eine Sendung haben Sie an die Capitainerie der Marina Confluence bestellt. Der Hafenwart war wohl kurz abwesend. Statt nun den dafür vorgesehenen Briefkasten zu benutzen, hat der Postbeamte das Couvert wieder mitgenommen und kurzerhand an den Absender in China zurückgeschickt. Jetzt warten sie auf erneute Zustellung und werden dann vom Lieferanten auch das dreifache an Portokosten belastet bekommen.Ich gehe Zutaten fürs Backen einkaufen und schleppe einen Korb (der Einkaufswagen fehlt mir) voll mit Mehr, Zucker, Butter, Eier usw. zur „Escape" zurück. Nun, sobald der nächste Anfall von Arbeitswut kommt, werden diese verarbeitet.

Mittwoch, 26.11.2014

Confluence scheint das Mekka der Gesundheitsbewussten zu sein. Von früh bis spät wird gejoggt und Radfahrer sieht man so viele wie bisher nirgends in Frankreich. Eben, es ist gegen 7.30 Uhr, ist ein Hardcore-Jogger bei uns vorbei, bei 11° C mit nacktem, gestähltem Oberkörper.Kurz nach dem Frühstück sehen wir den Lieferwagen der Post. Da wir in der Zwischenzeit erfahren haben, dass unsere Ersatzteil-Lieferung durch einen Subunternehmer (?) von DHL wohl den ganz normalen Paketpost Weg gegangen ist, geht Thomas zum Postbeamten rüber. Der ist von seinem Kollegen bereits informiert worden, dass auf der „Escape" sehnlichst ein Paket aus Holland erwartet wird. Heute hat er's aber noch nicht dabei. Gemäss neuster Statusmeldung ist das Objekt der Begierde im Verteilzentrum Lyon angekommen und wir wissen jetzt, dass mit der Lieferung jetzt nichts mehr schief gehen sollte. Gut Ding will Weile haben.Damit für die Aus- und Einbauarbeiten der neuen Pumpe schon mal alles in Ordnung ist, macht sich Thomas ans Reinigen des Maschinenraums. Der ist durch die vielen Aktionen mit Filterreinigung und dann natürlich durch die defekte Pumpe doch arg verschmutzt worden. Normalerweise könnten wir da unten essen, wenn es denn bequemer wäre!Für mich ist das der Startschuss, selber aktiv zu werden. Die eingekauften Zutaten müssen verarbeitet werden, wenn ich dem Skipper eine Freude machen will. Ich rühre, knete, steche Formen aus, backe, verziere mit kandierten Früchten und nach vier Stunden ist's geschafft, ich auch. Das Resultat überzeugt Thomas offenbar, er will mich jedenfalls behalten. Stundenland in der Küche stehen ist mühsamer als zwanzig Schleusenmanöver. Mein ganzes Chassis schmerzt und Thomas verspricht Abhilfe mit einer Massage (damit ich dann morgen weiter backen kann!).Wir lassen uns zwischendurch nur (aber gerne) für einen Schwatz von der Arbeit abhalten. Monsieur Dupuis von der Stadtverwaltung schaut vorbei und später noch ein älterer Spaziergänger. Dieser bleibt an der Reling stehe und äussert sich lobend über unsere schöne „Escape". Was denn wohl so eine Yacht koste? Ein Freund von ihm habe sich auch eine gekauft in Südfrankreich, für drei Millionen. Euro? fragt Thomas. Non, non, Francs! Alte oder neue, fragt mein Mann weiter. Alte, sagt der Mann. Wissen sie, erklärt er weiter, schon der Wechsel vom Ancien Franc zum Nouveau Franc (das war am 1.1.1960!) war schlimm, aber der Euro, das ist eine Katastrophe. Deshalb rechnet er lieber wie gehabt. Früher, da habe er für eine Million Francs noch 2 Millionen italienische Lire gekriegt. Thomas erwidert, dass man früher doch jedes mal beim Wechseln in andere Währungen Geld verloren habe und jetzt mit dem Euro in fast ganz Europa mit dem gleichen Zahlungsmittel durchkomme. Ist mir egal, meint der Mann, ich reise nicht mehr! Und den König will er auch wieder zurück haben... (Es scheint, dass eines seiner Relais einen Wackelkontakt hat.) Dann zottelt er gemütlich von dannen, schwingt seinen Regenschirm und führt Selbstgespräche.Thomas fährt noch rasch mit dem Fahrrad ins Carrefour zum Einkaufen. Wie er das Rad draussen parkieren will, wird er von zwei Polizisten freundlich darauf hingewiesen, dass das Abstellen vor dem Einkaufscenter nicht erlaubt sei. Dafür hat es innen einen bewachten Einstellraum. Nicht nur dieser ist per Video überwacht, wie die Einkaufsgeschäfte selbstverständlich auch, sondern alles rund um den Hafen und zwar 24 Stunden, sieben Tage die Woche. Sicherer kann man also kaum sein und sie hätten auch selten Interventionen. Thomas bedankt sich für die netten Hinweise und wird dann von einem der Polizisten gefragt: Sind sie aus der Schweiz, aus dem Kanton Waadt? Ihm ist der unverwechselbare Dialekt der Vaudois bekannt aus seiner Zeit als Stagiaire bei der Kantonspolizei Waadt!

Donnerstag 27.11.2014

Auch heute nichts, keine Post für uns...Thomas muss sich beschäftigen, damit er sich bei Laune halten kann. Er widmet sich wieder der Reparatur des Beiboots. Die immer noch warmen Temperaturen erlauben das Arbeiten mit Polyester. Dann studiert er auf dem PC die hydraulischen Komponenten unseres Motors. Er muss jedes Detail kennen und verstehen. Jede Ersatzteil-Nummer griffbereit haben. Nur so, wenn er alles bis in die letzten Einzelheiten kennt, kann er wieder Vertrauen aufbauen.Ich lasse ihn mal besser in Ruhe. Das Wetter ist trotz Wolken sonnig und mit 19° C immer noch schön warm. Was liegt da näher als ein Ausflug in die Stadt? Also besteigen Toby und ich „Le Vaporetto". Toby darf mitfahren, obwohl eigentlich ein Hunde-Verbot gilt. Aber die Besatzung kennt den kleinen, freundlichen Vierbeiner inzwischen. In Bellecour steigen wir aus und spazieren kreuz und quer durch Vieux Lyon. Endlich finde ich sogar eine bemalte Hausfassade, wenigstens eine. Anschliessend überqueren wir die Saône wieder nach Presqu'île. Im LyonMag habe ich gelesen, dass der Weihnachtsmarkt auf dem Place Carnot eröffnet wurde. Sicherheitshalber habe ich den Stadtplan eingesteckt. Ist aber nicht nötig, zielstrebig gehe ich durch Strassen und Gassen und lande punktgenau am Ziel. Den Weihnachtsmarkt finde ich ernüchternd, ist wohl am Abend, wenn alles beleuchtet ist, schöner. Der erste Stand verkauft Vin Chaud (Glühwein), die Jahreszeit würde stimmen, die Temperatur eher weniger. Ich halte Ausschau nach einer hübschen Adventsdekoration, aber nichts spricht mich an. Jedes zweite Verkaufshäuschen bietet irgendwelche Süssigkeiten oder Plastikspielzeug aus China an. Da sind wir also schnell durch. Beim Bahnhof SNCF Perrache suche ich erst den Eingang, dann den Ausgang. Immer der Anzeige „Cours Charlemagne" nach, Rolltreppe rauf, dann wieder runter, wir kennen den Bahnhof jetzt auf all seinen Etagen! Toby ist Experte im Rolltreppen fahren geworden. Ganz entspannt setzt er sich hin während der Fahrt. Schlussendlich finden wir dann doch noch den richtigen Ausgang, nochmals drei Rolltreppen tiefer und wir sind auf dem Cours Charlemagne, der schnurgerade zum Centre Confluence führt. Nach drei Stunden sind wir auf der „Escape" zurück, müde aber zufrieden.Am Abend nehme ich Thomas mit zum Einkaufen, als Packesel, ich will mir nicht wieder den Buckel krumm tragen. Und siehe da: als erstes wird ein neuer Einkaufswagen gekauft, diesmal für 40 kg Tragkraft.

Freitag, 28.11.2014

Désolé, Monsieur! sagt der Postbeamte zu Thomas, ich habe ihr Paket auch heute nicht dabei. Nun geht mein Mann zur nahen Postagentur um nachzufragen. Mit einer Telefonnummer kommt er zurück. Die angerufene Nummer hat eine computerisierte Sprachführung, alle Versuche scheitern. Erst mit dem Trick „réclamation" wird er endlich weitergeleitet. Unser Paket ist im Verteil-Zentrum (wissen wir) und wird morgen geliefert. Können Sie das garantieren? fragt Thomas. Nein, das können wir nicht, lautet die Antwort.Diese Ungewissheit und das lange Warten lähmt unsere Unternehmungslust zusehends. Thomas werkelt wieder am „Escape-je" und ich mache einen Spaziergang zum nahen Parc Ouagadougou. Da gibt es einen grossen Teich mit vielen Wasservögeln und einer Bisamratten-Familie. Am Nachmittag liegt diese jeweils am Ufer auf ihrem Nest. Von vorne sehen die Tiere ja ganz possierlich aus, der Schwanz ist aber ganz Ratte und ich fürchte mich vor Ratten.Monsieur Dupuis schaut wieder mal bei uns vorbei. Thomas fragt ihn bei dieser Gelegenheit, wo denn die Brücke bei der Hafeneinfahrt geblieben sei, die man auf Google Maps sehen kann. Er erzählt die Geschichte der Planung dieses Hafens. Geplant wie alles hier von Künstlern (Architekten) und da muss alles ästhetisch perfekt sein. Die besagte Fussgängerbrücke, Verbindung des Fussgänger- und Fahrradwegs am Quai Rambaud hatte aber leider die Durchfahrtshöhe von lediglich 2.80 m. Da kommt kaum ein Boot durch, kein „Le Vaporetto", keine Yacht wie die „Escape". Also musste sie wieder weg. Der Architekt hatte weitere tolle Vorschläge wie eine Hebebrücke, vergass aber, dass auf Fliessgewässern nicht gewartet werden kann, bis die Brücke dann offen ist. Auch den Brückenwärter mussten die Stadtbehörden ihm ausreden (zu hohe Lohnkosten) wie auch die Drehbrücke. So sinniert denn der Architekt weiter über eine machbare Lösung und die Stadt Lyon ist zufrieden mit dem Status Quo. Die Fussgänger sind es übrigens auch, die benützen die Passerelle beim Einkaufscenter.Unseren schönen Liegeplatz können wir noch bis zum 4.12. behalten. Danach wird er für ein Passagierschiff, das zum Fête des Lumières eingesetzt wird, benötigt. Wir hoffen ja immer noch, dass wir irgendwann mal weiter kommen. Obwohl, das optimale Zeitfenster zur Weiterfahrt in den Süden haben wir verpasst. Bereits ist wieder schlechtes Wetter angekündigt und im Südwesten hat es erste Unwetter gegeben. Aber wir werden schon eine Lösung finden, um eventuelles erneutes Hochwasser in einem sicheren Hafen abzuwarten. Oder, der Motor läuft weiterhin nicht, dann...

Samstag, 29.11.2014

Garantiert haben sie nichts, gekommen ist auch nichts! Der Postbeamte bittet Thomas, ihm alle Unterlagen zu unserem Paket zu geben, er will sich persönlich darum kümmern. Er hat einen Kollegen im Verteil-Zentrum und ruft den mal an.Die „Excellence Rhône" legt um 8.15 Uhr ab und fährt bergwärts. Nächste Woche werden Passagiere zusteigen für eine Adventsreise. Der Höhepunkt dieser Reise wird das Fête des Lumières in Lyon sein. Das Fête des Lumières, das grosse Lichterfest in Lyon, wird schon seit 1643 gefeiert. Zu Ehren der Jungfrau Maria feierten die Lyonnais ehemals am 8. September das Ende einer schweren Pestepidemie. Seit 1852 findet das Fest am 8. Dezember statt. Man feiert jedes Jahr mit einem Umzug von der Basilika Notre-Dame de Fourvière bis zur Kathedrale Saint-Jean mit Lampions, Laternen und Kerzen. Die Stadt organisiert zudem zahlreiche Veranstaltungen, internationale Künstler zeigen ihre Installationen zum Thema Licht und die wichtigsten Gebäude Lyons werden in bunten Farben angestrahlt. Die letzten Jahre haben zwischen 3 und 4 Millionen Einwohner und Touristen diesem Anlass besucht. Definitiv ein zu grosses Gedränge für Platzangst-Geplagte! Den grossen Reibach machen die Hoteliers von Lyon: durchschnittlich 78 % haben sie die Preise für Übernachtungen erhöht und einige findige Lyonnais verlassen die Stadt und vermieten ihre Wohnung für teures Geld an Touristen!Uns ist heute zu kalt für irgendwelche Unternehmungen. Auch backen mag ich heute nicht, aber drei verschiedene Sorten Weihnachtsgebäck habe ich bereits gebacken und gestern noch eine Brioche. Heute sind wir nur noch platt, lesen, schlafen und drehen mit Toby eine Runde. Dann noch kurz zum Schiffszubehör-Händler auf einem ehemaligen Passagierschiff in unserer Nähe. Thomas kauft sich da schon mal eine Karte vom Gebiet des Golfe de Fos-sur-Mer (für die Überfahrt nach Martigue). Er bleibt also optimistisch.Sonntag, 30.11.2014Es ist sehr kalt geworden, nur noch 8° C und dazu weht ein eisiger Wind. Letzten Sonntag spazierten wir noch im T-Shirt... Eigentlich sollten wir jetzt ja im Süden sein. Wenn das Wörtchen wenn nicht wär'.Zum Glück ist da noch unser Hund, sonst würden wir die Nase den ganzen Tag nicht an die frische Luft halten. Der Rest ist wie gehabt: schlafen, DVDs schauen, lesen und mit Toby spielen. Wenn wir das vergessen sollten, dann nimmt er sein quietschendes Spielzeug und meldet sich lautstark. Und: warten bis es Montag wird. Vielleicht kommt dann Post für uns?

Tagebuch Woche 9

Montag, 01.12.2014

Pünktlich um 9 Uhr sehen wir die Post vorfahren, aber ohne... Ich will schon anfangen zu hyperventilieren, da läutet eines unserer Mobiltelefone. Ein Monsieur Robin meldet sich, das Paket für uns sei eingetroffen. Erst als dieser Herr, in einer VFN-Jacke, ca. 40 Minuten später samt Paket bei uns eintrifft, begreife ich die Zusammenhänge. All die schriftlichen und telefonischen Interventionen, unseren neuen Liegeplatz im Darse Confluence als Lieferadresse bekannt zu machen (aucun problème...) waren für die Katz'. Thomas hatte, in weiser Voraussicht, noch einmal persönlich beim Hauptsitz VNF vorgesprochen und unser Problem dargelegt, die neue Anschrift seit 19.11. und die Telefon-Nummer hinterlegt. So dürfen wir denn heute, endlich, knapp zwei Wochen nach der Aufgabe der Sendung in Zwartsluis/NL die Ersatzteile von Monsieur Robin in Empfang nehmen. Einmal mehr: herzlichen Dank an VNF!Monsieur Maillard verspricht morgen Nachmittag die Arbeit in Angriff zu nehmen.So bleibt heute Zeit, die „Escape" für die Adventszeit zu schmücken. Das wollte ich eigentlich erst nach der Ankunft in Martigue machen. Denn sollte das Meer für die Überfahrt des Golfe des Fos nicht schön ruhig sein, müsste ich alle Dekorationsgegenstände wieder verstauen...

Dienstag, 02.12.2014

Wir dürfen wieder einmal beruhigt ausschlafen, kein Stress mehr mit Post, die erwartet wird.Um 14 Uhr ruft Monsieur Maillard an, er werde sich etwas verspäten. Um 15.30 Uhr ist er da. Ich komme eben zurück vom täglichen Spaziergang mit Toby. Hundchen macht's richtig, er rennt im Park herum und friert garantiert weniger als Frauchen.Die Männer öffnen den Maschinenraum, Frau und Hund legen sich auf's Sofa und wärmen sich erst mal auf. Zuerst muss nun die alte Pumpe entfernt werden. Das Ersatzteil ist mit seinem Gehäuse geliefert worden. Maillard müht sich mit Schrauben ab, die sich in 20 Jahren festgesetzt haben, Thomas reicht ihm die benötigten Werkzeuge runter. Dann schauen sie sich das alte Teil an und vergleichen es mit dem neuen.Über den Rand meines Buches beobachte ich die beiden. Trotz meiner technischen Unwissenheit merke ich, dass da etwas nicht ganz stimmen kann. Ich halte mich aber zurück mit fragen, denn dumme Fragen sind in solchen Momenten nicht das Klügste. Also lese ich ruhig weiter, währen Thomas und Maillard die beiden Pumpen zum Pick-up tragen. Irgend ein Problem scheint es da zu geben, so viel bekomme ich mit. Wäre ja auch zu einfach gewesen...Die Antriebswelle der neuen Pumpe ist 24 mm länger als die alte und das Gewinde für die Befestigungsschraube des Antriebspully ist anstatt 48 mm nur 24 mm lang, d.h. das passt nicht! Also muss eine Distanzbüchse aus Stahl gedreht werden, damit das Pully angeschraubt werden kann. Zudem hat die neue Welle einen Keil, die alte nicht und deshalb verfügt das bestehende Pully auch über keine Keilbahn. Da ist nun ein Mechaniker gefragt, der erstens Zeit hat und zweitens über die notwendigen Maschinen verfügt. Maillard ruft einen pensionierten Mechaniker an und fragt ihn, ob er das entsprechende Stück anfertigen könne. Die Antwort lautet: Donnerstag werde es aber sicher. Na ja, im Warten sind wir wahre Meister geworden.

Mittwoch, 03.12.2014

Marie und Michel Grumier schauen am Vormittag vorbei und laden uns auf einen Champagner-Apéro am Abend ein. Eine schöne Gelegenheit, wieder einmal dem Bordalltag zu entfliehen und ausserdem immer wieder interessant, andere Yachten zu besuchen und zu besichtigen. Die „Lady M" hat in etwa die gleiche Grösse wie die unsere und wir sind jeweils gespannt auf die Raumeinteilung bzw. -ausnutzung. Bis heute können wir sagen, die „Escape" ist für uns das ideale Boot zum darauf wohnen und wir würden nicht tauschen (die Technik mal ausgenommen!).Marie hat ihre Yacht festlich geschmückt, Lämpchen blinken und es glitzert in allen Ecken und Enden. Dagegen wirkt meine Adventsdekoration geradezu diskret. Vielleicht lege ich noch ein bisschen nach.Es wird ein Apéro der „Gestrandeten": Marie und Michel – Schraube und Ruder verloren (inzwischen repariert), Marc, Péniche „c'est la vie" - Motorenschaden und wir – auch nicht fahrtüchtig. So haben wir doch alle etwas zu erzählen, aber nicht nur von unserem Pech, denn es gibt vielmehr immer wieder schöne Momente, auch hier wieder. Im Gegenteil, wir sind uns alle einig, dass wir es hier absolut gut haben und es uns an nichts fehlt.

Donnerstag, 04.12.2014

Thomas ruft Monsieur Maillard an, um sich über den Stand der Dinge zu erkundigen. Das Teil werde wie gewünscht angefertigt und sei heute Abend bereit zum abholen. Nur, er kann aber mit dem Einbau erst beginnen, wenn er ein Boot aus einer misslichen Situation befreit hat. Dieses liegt nämlich nach einer Panne in einer Schleuse (hatten wir doch auch schon...) Anschliessend wolle er dieses in unseren Hafen schleppen.Monsieur Dupuis, auf seinem täglichen Rundgang, erfährt von Thomas von diesem neuen „Strandgut". Er ruft gleich bei Maillard an um sich zu erkundigen, um was für ein Boot es sich handle. Er wittert einen Trick, um während des Fête des Lumières zu einem Liegeplatz zu kommen. Aha, auf solche Ideen kommen einige also?!Dann hilft uns der nette Monsieur Dupuis gleich noch, die „Escape" mithilfe von Tauen an den C-Steiger zu verlegen. Der jetzige Liegeplatz wird während des Festes für ein Ausflugsschiff benötigt.

Freitag, 05.12.2014Auf meinem Rundgang mit Toby sehe ich die „Excellence Rhône" einlaufen, oben ohne, d.h. der Steuerstand ist komplett eingefahren. William Fortier erzählt uns später, dass sie trotzdem mit nur etwa ein bis zwei Zentimeter Abstand in der Höhe zum Viaduc de la Quarantaine passiert hätten. Er habe bloss noch auf allfälliges Knirschen geachtet.Monsieur Dupuis empfiehlt uns, das Fête des Lumières zu besuchen, wenn wir denn schon mal hier sind. Ich winke ab und erkläre ihm mein Problem mit der Platzangst. Mir genügt die Installation, die hier im Darse Nautique die letzten Tage im Wasser aufgebaut wurde. Light me up nennt sich diese Kreation aus 48 grossen weissen Ballons, die nachts ihre Farben in unzähligen Variationen wechseln. Von unserem neuen Liegeplatz, ca. 20 m ins Hafeninnere verlegt, sehen wir sogar zur Basilika Notre-Dame de Fourvière und somit auch deren Beleuchtung aus der Ferne. Insgesamt wären rund 70 Objekte zu bewundern.Monsieur Maillard kommt nicht, denn nebst dem bereits angekündigten Pannenboot aus der Schleuse musste er am Nachmittag gleich noch einen weiteren Havaristen abschleppen. Dieser war mit einem Brückenpfeiler kollidiert. Nun will er morgen kommen. Mal sehen.Nach dem Abendessen erinnere ich mich an den Film „Bienvenue chez les Ch'tis". Warum das? Weil der Postdirektor, als er von der Côte-d'Azur in den Norden versetzt wird, eine Daunenjacke trägt. Genau so komme ich mir auch vor, es ist zu kalt hier. Also schaue ich mir wieder mal (wie die letzten Jahre oft) diese amüsante Komödie an.So schön Lyon ist, unser Ziel war und ist immer noch Südfrankreich. Wir wollen weiter!

Samstag, 06.12.12014

Die Nacht ist ruhig verlaufen, kein Lärm von späten Festbesuchern. Die Polizei hat über die Festtage ein temporäres Büro gleich vis-à-vis in der Capitainerie eingerichtet. Mir scheint aber, der Publikumsaufmarsch hielt sich in Grenzen an diesem ersten Tag. Lediglich am Geschaukel der „Escape" merken wir, dass auf der Saône wesentlich mehr Verkehr ist als üblich. Viele Besucher geniessen den Ausblick auf die beleuchtete Stadt vom Wasser aus bei einer Rundfahrt, die natürlich seit langer Zeit ausgebucht sind. Dann, gegen Mittag, erscheint unser Mechaniker in Begleitung von William Fortier und, das Wichtigste, mit der fertig vorbereiteten Kühlwasserpumpe, einer grossen Werkzeugkiste und 20 Liter Kühlwasserflüssigkeit. Alles klar zum Einbau!Eben noch in Kapitäns-Uniform auf der „Excellence Rhône", jetzt in Arbeitskleidung und schmutzigen Händen auf der „Escape": William Fortier, der Mann für alle Fälle. Er ist ein Könner, was Schiffsmotoren anbetrifft, in 3. Generation mit der Schifffahrt verbunden und der Sohn will auch in diese Fussstapfen treten. Während Maillard im Maschinenraum kauert, hängt Fortier kopfüber in diesen hinunter und schraubt. Thomas assistiert wie eine Operationsschwester, leuchtet mit Scheinwerfer hin und her, reicht Werkzeug, damit die Beiden das verflixte Teil auch sauber montieren können.

DSCN0551 DSCN0552

 

Um 12.30 Uhr wird der Motor gestartet und die Männer erhalten zuerst mal eine unfreiwillige Dusche. Luft, die noch im Kühlwassersystem drin war, entweicht und spritzt oben raus. Die drei Kerle kümmert das wenig, denn nach einem weiteren Startversuch dreht Motor schön rund und in gewohnter Manier! Nach kurzem Aufräumen, nochmals nachschauen ob alles ok ist verabschieden sich die beiden Helfer zum Mittagessen und bitten Thomas, den Motor mal eine Stunde lang laufen zu lassen und die Messinstrumente wie Öldruck und Kühlwassertemperatur genau zu beobachten.Als ich später mit Toby vom Gassi gehen zurück komme, ist William Fortier schon wieder da, zusammen mit seinem 1. Offizier. Sie machen noch ein paar abschliessende Tests und alles ist in bester Ordnung. Nach einem verdienten Kaffee müssen die beiden zurück auf die „Excellence Rhône" und sich in Gala stürzen. Heute werden die jetzigen Passagiere mit einem „Good-bye Dinner" verabschiedet, morgen treffen schon die Neuen ein.Monsieur Maillard kommt später auch noch, mit der Rechnung, versteht sich. Bei dieser Gelegenheit erwähnt er, dass der Père Noël mit dem Boot unterwegs sei in den Darse Confluence. Tatsächlich legt das Boot kurze Zeit später längsseits bei uns an. Wir erhalten ein Säcklein mit Lebkuchen und Süssigkeiten und Toby bellt unterdessen den Sankt Nikolaus an, der ihm mit seinem langen, weissen Bart offensichtlich nicht ganz koscher scheint.Als ich in der Küche mit der Vorbereitung des Abendessens beschäftigt bin, klopft jemand ans Fenster. Ich höre Thomas: „non de bleu", schau mal wer uns besuchen kommt! Der Père Noël war schon da, also hab ich keine Idee, wer denn noch kommen könnte und mache erst mal ruhig weiter. Thomas geht nach oben, die Gäste in Empfang nehmen. Wie sie die Treppe runter kommen, schaue ich neugierig um die Ecke. Siehe da: „Monsieur le Commandant" in seiner schmucken Uniform, vier Goldstreifen am Ärmel, mit seiner charmanten Ehefrau. Er wolle unbedingt noch Telefon-Nummer und Mail-Adressen austauschen, damit man sich nicht aus den Augen verliere.

DSCN0554 DSCN0557

 

Diese nette Geste beantwortet Thomas spontan, indem er William und Louise auf ein Glas Champagner einlädt. Sie verspäten sich dann leicht, weil Louise auf die antike Uhr von meinen Grosseltern schaut und denkt, es sei 19.10 Uhr. Diese Zeitangabe hat die Uhr aber seit langen Jahren, seit sie defekt ist...Wer denkt, jetzt ist ja alles wieder gut auf der „Escape" - der irrt. Nach dem Abendessen stellt Thomas fest, dass die Heizung ausgestiegen ist (Heizungen steigen immer im Winter aus). Nur wenige Stunden vorher hat er eine Mail nach Holland geschickt, dass der Motor wieder läuft, unsere nächste Baustelle aber wahrscheinlich die Heizung sein wird. Vorerst hat er's noch einmal hingekriegt. Keine Ahnung wie, ich habe ihn nur hämmern und fluchen gehört und keiner weiss, wie lange es heizt.

Tagebuch Woche 10

Montag, 08.12.2014

Drei Wochen Aufenthalt in Lyon gehen zu Ende. Ich hatte bei unserer Planung (!) gesagt, höchstens ein Tag, ich möchte so schnell wie möglich im Süden ankommen. So lange hätte es nicht dauern müssen, aber es hat sich definitiv gelohnt, diese schöne Stadt besser kennen zu lernen. Und einige nette Bekanntschaften hätten wir auch verpasst.Monsieur Dupuis begrüsst heute früh schon mit „bonjour les Lyonnais!". Thomas bringt ihm zum Abschied und als kleines Merci für die gewährte Gastfreundschaft ein Säcklein mit haus- (bzw. bord-) gemachtem Weihnachtsgebäck.Bevor wir los können müssen wir die „Escape" drehen und beim Passagierschiff an unserem alten Liegeplatz festmachen um Wasser zu bunkern. Auch hier: Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste! Man kann sich um diese Jahreszeit auf nichts mehr verlassen und unser Wassertank ist wieder einmal fast leer.Um 10.30 Uhr ist es endlich soweit. Entlang dem Quai Rambaud, wo wir die letzten Wochen unzählige Male spaziert sind, fahren wir die letzten zwei Kilometer auf der Saône. Bei La Mulatière, an der Südspitze von Presqu'île, fliesst diese in die Rhône.Heute früh funktioniert die Heizung, was wir sehr begrüssen. Dafür steigen kurz nach der Abfahrt sämtliche Anzeigen des Aussen- und Innensteuerstandes aus. Hatten wir noch nicht – wundert uns aber langsam auch nicht mehr. Die technischen Installationen sind schlichtweg in einem erbärmlichen Zustand.Jetzt darf ich wieder einmal eine Schleuse absolvieren, die Ecluse Pierre Bénite. Europa-Norm, 195 x 12 Meter, die „Escape" ganz alleine darin. Viel Arbeit macht das nicht, es hat selbstverständlich Schwimmpoller. 9.5 m tiefer fahren wir weiter. Die Rhône hat fast keine Strömung mehr, vielleicht 0.5 kn/h und so bleibt die gefahrene Geschwindigkeit unter unseren Erwartungen. Das Wetter klart immer mehr auf und in Vienne scheint die Sonne. Interessanterweise sind jetzt auch die Armaturenanzeigen wieder aktiv. Nicht fragen warum, einfach hinnehmen und hoffen.Dann folgt die zweite Schleuse, Vaugris mit 6.5 m Fallhöhe. Weiter geht die Fahrt entlang den Weinbergen der Côte-du-Rhône, immer wieder unterbrochen von prächtigen Landsitzen und Schlössern (z.B. Arenc). Das Bett der Rhône ist nun wieder etwas schmaler, das Wetter bewölkt. Toby will wie üblich neben dem Skipper beim Aussensteuerstand bleiben und friert. Deshalb bekommt er seine geliebte Fleece-Decke. Auch ich, unten im Salon, friere langsam wieder an Händen und Füssen, denn die Heizung hat sich wieder verabschiedet.Kurz vor Sonnenuntergang erreichen wir die dritte Schleuse, Sablons. Wir erhalten gleich die Erlaubnis zur Einfahrt und die 14.5 m Höhenunterschied werden in kürzester Zeit geschafft. Während ich die „Escape" am Schwimmpoller festgemacht halte, kann Thomas sogar die Heizung wieder in Gang setzen. Nun fehlt uns zu unserem Glück nur noch ein sicherer Anlegeplatz für die Nacht, gerne mit Stromanschluss.Um 17.30 Uhr treffen wir in Saint-Vallier ein, wo es gemäss dem Guide Fluvial Vagnon eine Anlegemöglich­keit geben soll. Mit dem Scheinwerfer suchen wir das Ufer ab. Der Anleger entpuppt sich als kleiner Quai mit zwei Pollern und einem Slip. Anlegen nur für kurzfristiges be- und entladen von Gütern erlaubt lesen wir auf der Anzeigentafel oberhalb. Wir machen trotzdem fest.

Dienstag, 09.12.2014

Eine unruhige und für Thomas mehr oder weniger schlaflose Nacht liegt hinter uns. Der Mistral bläst, in Böen mit bis zu 80 km/h. Um 4 Uhr früh erwache auch ich, als einer der Rettungsringe hart am Heck klappert. Der Skipper hat die „Escape" aber doppelt gesichert und sie hält dem starken Wind stand. Es knarrt und zerrt jedoch unheimlich in den Tauen.Wie Thomas so schlaflos im Bett liegt, grübelt er über das Heizungsproblem nach, um wenigstens eine kurzfristige Lösung zu finden. Er weiss mittlerweile, dass sie sich ausschaltet wegen Überhitzung. Diese Heizung wurde entgegen den Einbauvorschriften des Herstellers aus Platzgründen (?) in der Rückwand des Sofas eingebaut, abgedeckt mit Spanplatten! Mangelnde Frischluftzufuhr und schlecht oder gar nicht isolierte Rohre führen zu dieser Überhitzung und sind eine potenzielle Brandgefahr. In der Achterkajüte wo wir (inkl. Hund) schlafen hat es keine Fluchtluke. Sollte es während der Nacht zu einem Brandausbruch kommen, wären wir da hilflos dem Verderben ausgesetzt. Kremiert und bereit fürs Seebegräbnis... Unser anfängliches Kopfschütteln über die 4-Sterne-Spezialisten in Zwartsluis schlägt in Entsetzen um.Trotzdem gelingt es uns, von 5 bis 7.30 Uhr noch kurz zu schlafen. Um 9.30 Uhr legen wir ab und erreichen nach wenigen Kilometern die Schleuse Gervans, wo sich Thomas wie üblich per Funk angemeldet hat. Wir bekommen zum Glück gleich freie Einfahrt, ein Berufsfahrer kam kurz vorher bergwärts. Bei diesem Wind noch am Wartesteiger anlegen wäre unangenehm gewesen. Beim Abschleusen friere ich mir trotz zwei Paar Handschuhen gute 11 Meter abwärts fast die Finger ab, denn der Wind verstärkt sich in der Schleusenkam­mer noch massiv. Toby hält derweil, schön geschützt hinter den Scheiben, sein Verdauungs-Nickerchen.Auch die Schleuse Bourg-les-Valence mit 12 m Fall ist Dank eines gerade bergwärts ausfahrenden Frachtschiffs offen. Wenigstens da haben wir Glück.Bei stürmischem Wind legen wir um 12.30 Uhr in der Marina L'Epervière in Valence an. Thomas hat eiskalte Füsse und ich Hände. Nach einem wärmenden Tee bzw. Kaffee legen wir uns hin und holen etwas vom versäumten Schlaf nach. Anschliessend verarbeiten wir unseren erneuten Ärger und Frust schreibender Weise, Thomas in einer bebilderten Dokumentation per E-Mail, ich im Tagebuch.Der Sturm hält sich bis in die Abendstunden mit Windböen von 7 bis 8 Bft. Es folgt ein Sonnenuntergang für Kunstmaler in den schönsten Farben. Dann flaut der Wind immer mehr ab und wir hoffen auf erholsamen Schlaf.

DSCN0599 DSCN0598

 

Mittwoch, 10.12.2014

In der Nacht wache ich auf, der Mond scheint hell in die Achterkajüte. Lange liege ich wach und wälze Gedanken, dann schlafe ich wieder ein. Im Halbschlaf höre ich ein Piepsen. Thomas stellt der Wecker ab und wir schlafen weiter. Schlafen ist im Moment wichtiger als frühes Weiterkommen. So wird es halt auch heute wieder einmal 9.30 Uhr bis wir ablegen können, dafür aber ausgeruht und gestärkt.Die Schleuse Beauchastel, die sechste auf unserer Rhône-Fahrt, lässt uns auch gleich einfahren. Heute ist es wesentlich angenehmer in der Schleusenkammer drin ohne den stürmischen Wind. Aber kalte Hände kriege ich immer noch,Vor der Schleuse Le-Logis-Neuf müssen wir uns etwas gedulden. Ein Tanker ist bergwärts am aufschleusen. Anschliessend werden wir 13 m abgesenkt.Kurze Zeit später passieren wir das Atomkraftwerk Cruas Meysse. Einer der vier Kühltürme ist bemalt. Für mich macht das diese Art der Energiegewinnung nicht sympathischer, habe sie immer abgelehnt. Saubere Produktion von Energie, schneller Gewinn, doch die Entsorgung der Brennelemente ist bis heute nicht gelöst und das Problem wird noch vielen Generationen nach uns hinterlassen.

DSCN0608

 

Die zwei Windräder, die davor drehen, sind wie ein Symbol für die Zukunft. Und Wind hat es hier, wie wir wissen, genug.Wie ich diese Zeilen schreibe, gibt es plötzlich einen Schlag am Rumpf, es poltert weiter nach hinten. Der Skipper, am Innensteuerstand, rennt nach oben um zu schauen, ob er im Kielwasser etwas ausmachen kann. Er sieht nichts, hat aber auf dem Echolot eine Tiefe von lediglich noch 20 cm unter dem Kiel statt gegen 10 m wie vorher. Das war wohl ein Baumstamm, Kadaver oder ein abgesoffenes Boot. Schiffswracks (über Wasser) haben wir an diesem Tag zwei gesehen und die Wasserschutzpolizei hat ein losgerissenes Boot aus der Böschung gefischt. Ich darf wieder mal unseren Hund beruhigen. Seine Nerven sind die labilsten der gesamten Crew!Bei der Schleuse Chateu-Neuf müssen wir uns etwas gedulden, bis der aufgeschleuste Schubleichter ganz aus der Schleusenkammer ausgefahren ist. Wir warten auf das Signal zur Einfahrt. Erst auf Anfrage des Skippers per Funk schaltet der Schleusenwärter auf grün, er hat es wohl vergessen. Imposant wie schnell die darauf folgende Abschleusung von 17 m erfolgt, ruhig und ohne irgendwelche Turbulenzen.Gute 2 Km später erreichen wir um 15.30 Uhr Viviers. Vorsichtig nähern wir uns dem Sportboothafen. Von weitem schon sehen wir, dass die Schwimmsteiger hochgeklappt sind, es ist halt Saisonende. Trotzdem laufen wir ein, das Echolot immer im Auge. Aber wir haben keine Wahl, es kommt lange Zeit keine Anlegemöglichkeit mehr. Durch Treibholz, Laub und anderen Müll fahren wir langsam weiter. Zuhinterst ist noch ein Steg unten, die haben offensichtlich noch auf die „Escape" gewartet.

Donnerstag, 11.12.2014

Wie vorgesehen starten wir die Weiterfahrt um 9 Uhr bei schönem Wetter. Die Sonne steigt am gegenüberliegenden Hügel auf und das wunderschöne Städtchen Viviers leuchtet im morgendlichen Licht. Leider haben wir diesmal keine Zeit für eine Besichtigung, müssen das aber bei anderer Gelegenheit unbedingt nachholen. Besonders die römische Brücke mit elf Bögen, die Stadtbefestigung, die Kathedrale Saint-Vincent und vieles mehr sind ein Besuch wert.Bei der Einfahrt in die Schlucht von Donzère sehen wir auf dem Felsen den Engel St. Michael. Diese Statue wurde nach dem 2. Weltkrieg aus Dankbarkeit dafür errichtet, dass Viviers 1944 von Bombardierungen verschont blieb.Die folgende Eisenbahnbrücke des TGV Méditerranée ist schon an sich ein technisches Meisterwerk und eine Augenweide dazu. Aber wie auf Bestellung rauscht im Moment unserer Passage gleich noch ein TGV durch. Der Skipper und ich sind uns einig: wir sehen definitiv mehr von der schönen Landschaft, auch wenn die Reise viel, viel länger dauert.Der Höhepunkt für Schleusenschiffer auf der Rhône ist sicher die Schleuse Bollène. Ein Berufsfahrer fährt bergwärts aus, ein weiterer wartet talseitig. Wir haben uns angemeldet und obwohl es noch ein paar Minuten dauert, bis wir die Einfahrt erreichen, bittet der Schleusenwärter den wartenden Tanker um etwas Geduld. So was von freundlich und kooperativ sind diese Franzosen, gewähren einem Bateau Plaisance den Vortritt! Zügig machen wir fest, das Tor schliesst und nur 7 Minuten später sind wir 23 Meter weiter unten. Unten angekommen, bestaunen wir die riesigen Schleusentore. Auf Rückfrage des Skippers erklärt der Schleusenwärter, dass die Energie, welche durch das Ablassen des Wassers erzeugt wird, ungefähr 1 Megawatt Leistung ergibt, welches über eine Turbine ins Stromnetz geführt wird. Eindrücklich!Auch die Schleuse Caderousse steht schon offen für uns und, in vergleichsweise gemächlichem Tempo gegenüber Bollène, geht's weitere 9 Meter abwärts. Draussen wartet auch wieder ein schwer beladener Berufsfahrer auf die Schleusung.Johan aus Blokzijl ruft an und sagt, dass er nach dem Mail von Thomas wegen der nun defekten Heizung erst mal einfach nur sprachlos war. Arjan habe sich schon umgeschaut, damit er uns eventuell Ersatz liefern könne. Diese Zwei arbeiten unaufgefordert an Lösungen.In Roquemaure fahren wir vorbei am Schloss und dem Tour de l'Hers, auf einem Fels gebaut. Dann erscheint auf der backbord Seite Schloss und Städtchen von Châteauneuf-du-Pape. Der Wind hat seit dem Mittag wieder aufgefrischt und die Rhône hat ganz schön Wellen. Damit der Kurs gehalten werden kann, muss dauernd am Steuer korrigiert werden. Wie praktisch wäre da der Autopilot! Aber dass der (wieder) nicht funktioniert ist im Moment das kleinste Übel das wir haben...Schon muss sich Thomas für die Schleuse Avignon anmelden und ich ziehe wieder wetterfeste Kleidung und Rettungsweste an. Diesmal müssen wir kurz am Warteponton festmachen, bis der Berufsfahrer aufgeschleust und ausgefahren ist, dann geht's mit uns 10.5 m runter.Nun laufen wir in Avignon ein. Auf unserer Hochzeitsreise standen wir auf dem Pont St-Bénézet (Pont d'Avignon) und haben nicht gewusst, dass wir da unten schon in wenigen Jahren mit unserer eigenem Yacht durchfahren werden. So anders präsentiert sich die Aussicht vom Wasser aus und heute erst noch bei herrlichem Sonnenschein. Um 15.30 Uhr liegen wir am Quai sicher fest.Ich mache mich auf den üblichen Spaziergang mit Toby und sehe bei der Rückkehr, dass ein Besucher bei uns im Salon sitzt. Ralph, ein Thurgauer, der mit seiner Segelyacht am gleichen Quai festgemacht hat. Die Schweizer Flagge am Heck der „Escape" hat ihm gezeigt, dass es in Avignon (auf dem Wasser) Landsleute hat. Unser Vorratskeller gibt noch etwas her und so laden wir ihn zum Nachtessen ein und machen uns einen gemütlichen Abend zu Dritt.

Freitag, 12.11.2014

Nachdem sich Ralph noch bei uns an Bord verabschiedet hat, legen wir um 10 Uhr ab für die letzte Etappe auf der Rhône Richtung Mittelmeer. Als wir aufgestanden sind war noch schönes Wetter, jetzt ist der Himmel bewölkt. Der Wind ist schwach, das Wasser entsprechend ruhig. Dafür sieht man heute das viele Treibholz wieder. Slalomfahren ist angesagt. Die grössten Holzstücke werden von den Möven aber auch Kormoranen gerne als Ruheinseln benutzt.Vor der Schleuse Beaucaire müssen wir einen Berufsfahrer abwarten, der Vortritt für die Einfahrt hat. So kommen wir in dieser letzten Rhône-Schleuse noch in den Genuss, hinter einem 135 m langen Container-Frachter abgeschleust zu werden. Dieses Riesending nimmt bis auf wenige Zentimeter fast die gesamte Schleusenbreite in Anspruch. 15 m tiefer startet er seine Motoren und fährt ganz sachte los. Er verhält sich sehr rücksichtsvoll, wir spüren kaum Turbulenzen. Nach der Ausfahrt aus der Schleuse nutzt Thomas eine Weile den Sog seines Fahrwassers und erreicht so eine Spitzengeschwindigkeit von 10 kn/h bei nur 1600 Touren! Der Frachter ist aber stärker motorisiert und zieht davon.Wir fahren weiter, am Château Roy René in Beaucaire vorbei und kommen dann nach Arles. Auch diese Stadt kennen wir noch von unserer Hochzeitsreise, nur besuchten wir sie damals auf dem Landweg. In der Nacht wurde dann auch prompt unser Fahrzeug „entführt". Seither hatte ich etliche Vorurteile was Frankreich und seine Bewohner betrifft. Die zwei letzten Monate, seit unserer Ankunft in Givet, haben mich aber eines Besseren belehrt und ich habe heute grosse Sympathie für Land und Leute.Hier beginnt das Départment Bouches-du-Rhône, uns bleiben noch 25 km Fahrt und dann sind wir am Ziel unserer langen Reise: dem Mittelmeer. Nun fahren wir durch die Camargue, vom Wasser aus eher unspektakulär, da hinter den Uferböschungen nur flaches Gelände liegt.In Port Saint-Louis-du-Rhône fahren wir entlang am Palmen und Pinien gesäumten Quai (wir sind definitiv im Süden!) und müssen vorerst mal vor der Ecluse Maritime de Port-St-Louis festmachen. Den Schleusenzyklus von 16.45 Uhr verpassen wir um eine viertel Stunde. Spät losgefahren und dann noch 45 Minuten Wartezeit vor der Schleuse Beaucaire und schon liegen wir zeitlich daneben. Entschädigt werden wir dafür mit einem traumhaften Sonnenuntergang über der Camargue. Es ist erst 17 Uhr, die nächste Öffnungszeit ist um 18.45 Uhr. Aber wir wollen unbedingt heute noch in den Hafen nach der Schleuse.Toby bekommt seinen Landgang und verschlingt seine abendliche Portion Futter. Kurz vor 18.45 Uhr legen wir ab und warten auf die Einfahrterlaubnis. Ich stehe bereits mit dem Festmachertau an der Mittelklampe steuerbord und der Skipper ruft mir zu: wir gehen ganz nach vorne!Was dann folgt, nach 298 absolvierten Schleusen... Zum Glück ist es schon stockdunkel und niemand kann uns für Youtube filmen!Also, wir laufen in die Schleusenkammer ein. Thomas ruft: ich habe extreme Strömung! Der erste Versuch, steuerbordseitig festzumachen scheitert, auch der zweite. Nun liegen wir fast quer in der Kammer. Der nächste Versuch backbord. Fehlanzeige. Hin und her, bis es endlich gelingt, backbord das Tau durch den Haltebügel der Nottreppe zu ziehen und festzumachen. Der Skipper kommt nach vorn, nimmt mir das Tau ab, löst es vom Bügel und legt es über den grossen Poller für Frachtschiffe. Er wolle selber halten, sagt er, aber ich bitte ihn, wieder zurück ans Steuer zu gehen. Dort meldet er sich beim Schleusenwärter, dass wir endlich festgemacht seien und uns für die Verzögerung entschuldigen. Das Schleusentor kann geschlossen werden. Nur, die Strömung hat die „Escape" wieder völlig in der Hand und ich merke, dass ich sie nicht mehr halten kann. Ich schaue nach hinten und rufe nach Thomas. Er hat aber den Steuerstand verlassen und verknotet die Fender auf der steuerbord Seite. Damit das dann schon mal gemacht ist für das Anlegen im Hafen... Ich bin machtlos gehen die Kraft der Strömung und das Tau rutscht immer mehr durch meine Hände. Gerade wie Thomas wieder am Steuer sitzt, muss ich die letzten Zentimeter fahren lassen. Der Skipper schreit: man(frau) lässt das Tau nicht los, sondern belegt!!! Ich schreie zurück: man(n) verlässt den Steuerstand nicht!!! Die „Escape" torkelt wie ein betrunkener Seemann in der Schleusenkammer rum. Aus dem Lautsprecher ertönt in drei Sprachen die Tonband-Durchsage: das Ablegen ist erst nach der Öffnung der Hebebrücke gestattet! Haha...Zum Glück öffnet in diesem Moment die Hebebrücke, ein weiteres Anlegemanöver wäre wohl nicht mehr gelungen. Und dann sind wir endlich angekommen, im Hafen von Port Saint-Louis-du-Rhône und liegen im Salzwasser des Mittelmeers. Trotz abendlichem Wind ist es noch 14° C warm und uns weht die Meeresbrise um die Nase. Genau was wir gesucht haben.Die Gründung von Port-Saint-Louis-du-Rhône wurde von Napoléon Bonaparte angeordnet. Der Hafen wurde 1864, der Canal Saint-Louis 1873 eröffnet. Die Stadt wurde 1904 zur Gemeinde erhoben, seit 2011 gehört sie offiziell zur Camargue. Der Turm Saint-Louis ist das älteste Monument der Stadt, es stammt aus dem Jahr 1737, früher als Leucht- und Wachturm verwendet. Der Turm beherbergt heute das Fremdenverkehrs­büro und die grösste ornithologische Ausstellung der Camargue mit 168 Exponaten. Von der Terrasse geniesst man einen aussergewöhnlichen Ausblick über die Stadt, die Camargue, den Kanal Saint-Louis, die Salzgärten und Windkraftanlagen.

DSCN0710 DSCN0716
DSCN0873 Port Saint Louis Turm

 

 

Fast 10 Wochen waren wir unterwegs, lernten auf unserer langen Reise neue Gegenden und Menschen kennen. Viele prägende Erlebnisse, Eindrücke, Freude. Genau das was wir mit unserer neuen Lebensform „unterwegs zu Hause" gesucht haben. Aber es gab auch Zeiten wo wir hart an unsere Grenzen gestossen sind, als eine Panne der nächsten folgte. Besonders die, als wir mit Motorenschaden das Hochwasser am Quai in Lyon durchstehen mussten, bevor wir in einen sicheren Hafen geschleppt werden konnten. Besonders eindrücklich war immer wieder die Hilfsbereitschaft, die wir erleben durften.Solche Erfahrungen schweissen eine Mannschaft zusammen, nicht nur in guten, sondern besonders in schwierigen Momenten. Auch Toby fühlt sich hundewohl, hat in diesem Jahr von der Nordsee bis zum Mittelmeer an hunderten Stellen seine Markierung hinterlassen und viele Hundekollegen getroffen und kann mittlerweile sehr gut differenzieren, mit welchem Kameraden er spielen kann und um welchen er besser einen Bogen macht.Wir haben das anvisierte Ziel, Martigues, noch nicht erreicht. Erst wollten wir in Port-Saint-Louis-du-Rhône unsere Heizung wieder instand stellen lassen und dann die Weiterfahrt in Angriff nehmen, sobald das Wetter es zulässt. Mittlerweile wissen wir, dass unser Aufenthalt hier am Tor zur Camargue etwas länger dauern wird. Nebst der Heizung hat sich schon wieder eine neue Baustelle aufgetan:

Der Integralkühler des Motors ist innen durchgerostet. Laufend verlieren wir Kühlflüssigkeit. Glücklicherweise nimmt der Motor keinen Schaden, denn während dem Fahren wird die Kühlflüssigkeit durch die Aussenkühlung vermischt und der Kühleffekt bleibt wenigstens erhalten. Aber hier sind wir im Salzwasser und dies ist für den inneren Kreislauf der Motorkühlung nicht ideal. Nun, schon wieder ein Defekt der sich als eindeutiger Standschaden erweist. Schiffe gehen nicht durch den Gebrauch kaputt, sondern durch das Stillliegen! Eine Weisheit, die für uns neue Bedeutung bekommt.Die „Escape" ist zweifelsohne ein sehr gutes Boot. Alles was vom Hersteller original eingebaut wurde ist vom Besten. Leider sind die Nebenaggregate, durch Mangel an wirklich präventiver Wartung, teilweise in einem bedenklichen Zustand und haben uns viel Lehrgeld und Euros gekostet. Beim Kaufsgesprächen im Herbst 2013 hatte man ständig von einem immer top gewarteten Objekt gesprochen. Unter Wartung verstehen wir aber etwas total anderes als nur die üblichen Servicearbeiten auszuführen. Es ist jammerschade, wie diese schöne Yacht über all die Jahre vernachlässigt wurde.Wir haben beim Kauf die "Escape" seriös evaluiert, waren vorsichtig und haben sogar einen neutralen Experten als Gutachter beigezogen, bevor wir den Vertrag definitiv abgeschlossen haben. Trotzdem, wir waren nicht kritisch genug und das wird zu einer teuren Lehre. Aber auch im Pensionsalter lernt man(n) halt nie aus.

„Lessons learned" für künftige Bootskäufer heisst: fragen, nochmals fragen und nochmals nachfragen und hartnäckig bleiben. Auch den Rückbehalt eines Teils des Kaufpreises verlangen, bis das Schiff mal intensiv gebraucht wurde und seine Schwächen gezeigt hat. Danach kann man dann den Deal, um einige Erfahrungen reicher, abschliessen.Irgendwann wird auf der „Escape" mal alles ersetzt sein und dann wird sie das sein was wir immer haben wollten: eine Yacht die nicht nur von der Grundstruktur sehr solide ist, sich perfekt manövrieren lässt, einiges an schwierigen Wettersituation einzustecken vermag und überdies schön aussieht (aussen und innen), vor allem aber zum sicheren Fahren auf langen Strecken taugt.Thomas war anfangs nicht sehr angetan vom Namen „Escape", wie das Boot immer geheissen hat. Der bedeutet aber nicht nur Flucht, sondern eben auch Ausstieg und genau das haben wir in unserem neuen Lebensabschnitt getan. Heute würden wir ihr aber den Namen „Cash Drain" geben...

 

Copyright © 2014 MS-Escape - All Rights Reserved